Der 1. Mai war einmal ein der Internationale Kampftag für die Rechte der Lohnarbeiter_innen und für die soziale Revolution. In Berlin hat er eine zusätzliche Bedeutung. Im Jahr 1987 konnte durch heftige militante Aktionen die Polizei aus Kreuzberg vertrieben und zumindest temporär eine staatlich repressionsfreie Eutopie gelebt werden. Trotz der zahlreichen Demonstrationen – allein in Berlin waren es in diesem Jahre drei – und der großen Beteiligung bleibt vom 1. Mai lediglich der Feiertag, der von den bürgerlichen Berliner_innen, Tourist_innen und apolitischem Partyvolk lediglich zum Amüsement genutzt wird und so dem Kapital sowie der Politik zur Befriedung nutzt. Schlimmer ist hierbei die Entkoppelung emanzipatorischer Forderung vom positiven Bezug zur Gruppe der Lohnabhängigen, sowie die Ersetzung des kollektiven Protestes durch entpolitisierten Individualhedonismus.
Der Tag begann mit der offiziellen DGB Demo. Wie der rbb berichtet sollen zu am Vormittag 15.000 Teilnehmer_innen durch Berlin gelaufen sein. Wie viele im klassenkämpferischen Block mitgelaufen sind, ist unklar. Berichte gibt es dazu allerdings bisher keine. Die Gewerkschaftsdemo konzentrierte sich in ihrer Perspektive auf die seit 1. Mai endgültige Bewegungs- und Anstellungsfreiheit osteuropäischer Lohnarbeiter_innen. Seit Wochen wird hierzu Panik gemacht, als ob, Massen von Pol_innen, Tschech_innen usw. in den „deutschen“ Arbeitsmarkt strömen würden und die Löhne der bereits abhängigen Beschäftigten drücken könnten. Der 1. Mai wurde in diesem Jahr für Gewerkschafter_innen deshalb zum Angsttag gemacht, der politische Forderungen nach Gleichbehandlung und Emanzipation durch nationalistische Tendenzen verdeckte.
Das Myfest am Nachmittag im längst gentrifiziertem Bezirk Kreuzberg 36 wurde zum Magneten für zahlreiche Tourist_innen, vermeintlich alternative Künstler_inne, geschäftstüchtige Anwohner_innen sowie Vereine und bürgerliche Neu-Eigentümer_innen. Die Oranien- und Adalbertstraße war schon früh unpassierbar. Massen zwängten sich durch die Straße, um sich gegen (wie war nochmal das Motto) oder überhaupt zu amüsieren. Auf dem Mariannenplatz war es, auch durch die womöglich aufgrund des geringen Interesses lediglich einseitige Aufstellung von Buden, relativ entspannt. Auch das Barrio Antifascista am Rand des Festes im Carlo Giuliani Park lag hübsch entspannt.
Doch der entpolitisierte und befriedende Hedonismus sollte nicht unwidersprochen und unkritisch stehen gelassen werden. Einige Aktivist_innen trugen mit Transparenten und Parolen die Forderung zum Erhalt alternativer Kultur- und Lebensformen ins Myfest. Die (Spontan-) Demonstration formierte sich circa 16:45 Uhr auf dem Mariannenplatz, zog erst zum Brunnen am Anfang des Platzes, dann die Mariannenplatzstraße entlang bis zum Bethaniendamm. Weiter ging’s über die Adalbert- und Waldemarstraße zurück zum Mariannenplatz usw. Es sollen bis zu 2.000 Menschen gewesen sein, die sich an der kritischen Aneignung des Festes beteiligten. Wie viele es wirklich gewesen sind, ist unklar, da der „Demozug“ recht unübersichtlich zu überblicken war. Überraschend war allerdigns, daß sich die Sicherheitskräfte völlig zurück hielt. Einsatzpolizist_innen waren gar nicht zu sehen. Dafür liefen einige Dutzend mal besser erkennbar, mal kaum von Demonstrant_innen zu unterscheidende Zivis mit, die locker einen eigenen Block hätten bilden können. Die Demo löste sich später, nach einigen Runden um den Mariannenplatz im Getümmel der O-Straße auf.
Bis zur Revolutionären 1. Mai Demo war noch etwas Zeit. Es hieß sich etwas auszuruhen, trinken , essen und Leute treffen. Die Demo lief, nach langem Warten auf der Kottbusser Brücke und Kontrollen nach Glasflaschen von der Kreuzberger Seite, zügig und lautstark los. In der Demo und am Rand waren einige Dutzend Zivi-Polizist_innen unterwegs, die sich allerdings relativ zurückhielten. Außerdem waren vereinzelt VS-Beamt_innen unterwegs. Die Einsatzhundertschaften hielten sich ebenfalls sehr lange zurück und waren lange kaum zu sehen. Verschwunden waren sie allerdings nie. Die EHU’s begleiteten den Demo-Zug massiv parallel zur Demo in der Sonnenallee in der Weserstraße. Schon am Nachmittag wurden die Nordrheinwestfällischen Polizist_innen oberhalb der Hermannstraße geparkt. Sie übernahmen die Demo ab der Flughafenstraße.
Erste Böller in der Demo gab es schon auf dem Kottbusser Damm. In der Sonnenallee waren die Böller allerdings penetrant laut und zahlreich, so daß sie eher die zahlreichen Passant_innen verschreckten. Hier wären Graffitis, Flyer und kurze Ansagen in verschiedenen Sprachen sehr viel wirksamer gewesen. Leider wurden die Parolen ab der Sonnenallee sehr viel weniger, was ebenfalls die Außenwirkung vernachlässigte. Abn der Fuldastraße gab es erste Angriffe auf eine Volks- und eine Commerzbank. Die Neukölln Arkaden traf es ebenfalls. In der Hermannstraße wurde ein Kik und erneut eine Volksbank attackiert. Die Gentrifizierer_innen von der Wohnungsverwaltung Stadt & Land, der insbesondere im angrenzenden Schillerkiez einige Häuser gehören und die auch für die Verdrängung im Kiez zwischen dem Treptower und dem Görlitzer Park verantwortlich sind, blieben verschont.
In der Werbelliner wurde die Demospitze auf der Höhe der ehemaligen Kindl-Brauerei (heute Rewe) abgetrennt. Der hintere Teil reagierte bei erstem Gerenne unsicher und blieb zurück. Es ging aber schnell und zügig weiter. Am Ende der Werbelliner wurde die Demospitze von der Polizei heftiger angegriffen. Es soll Pfefferspray sowohl gegen Demonstrant_innen als auch Journalist_innen eingesetzt worden sein. Außerdem gab es zahlreiche Festnahmen. Wieder bleib die Demo erst einmal stehen. Nach einigen Minuten Verzögerung ging es bis zum (geschlossenen) U-Bahnhof Rathaus Neukölln weiter. Dort wurde die Demo aufgrund der Angriffe auf die ersten Reihen aufgelöst, jedoch nach ca. ½ Stunden neu angemeldet.
Die Sicherheitskräfte formierten sich nun sichtbar, aber immer noch relativ zurückhaltend. Eine Kesselung gab es nicht. In die Seitenstraßen konnte mensch locker raus. Viele blieben aber und warteten ab. Nach Abhängen vor dem Haupteingang zu den Neukölln Arkaden (diesmal ohne Angriffe) zog die Demo weiter zum Hermannplatz, wo Wasserwerfer, Räumpanzer und zahlreiche Wannen warteten. Dort soll es einige heftige Auseinandersetzungen gegeben haben.
Schade, daß die Passant_innen aus der Demo heraus wenig mit Flyern oder Ansagen über den Zweck der Demo informiert wurden. Megafone in der ganzen Demo und kurze Beiträge in verschiedenen Sprachen (wie vom Lauti praktiziert) wären sehr gut gewesen. Dennoch ist diese Demo ein Riesenerfolg. Es kamen erneut mehrere Tausend Menschen mehr, als im vergangenen Jahr. Ob es wirklich 15.000 war, wie die arab bei indymedia schreibt, ist allerdings zu bezweifeln. Es waren aber in jedem Fall über 10.000 Menschen, die antikapitalistisch demonstrierten. Außerdem erwähnenswert ist, daß die Aktivitäten aus der Demo heraus gerichtet und nicht blind aktionistisch waren. Positiv ist ebenfalls, daß sich der Demo-Zug von dem Klirren nicht verunsichern ließ, ruhig weiterzog und so die Angriffe auf die Banken als Teil der Demo akzeptierte.
Diese Revolutionäre 1. Mai Demo sollte den Herrschenden erneut bewiesen haben, daß es einige Menschen gibt, die verdammt sauer sind! Hinzu kommt das die Zahl der Teilnehmer_innen sich der DGB Demo annähert und so zur relevanten Größe wird. Peinlich und erschreckend ist aber auch, daß über den 1. Mai in den bürgerlichen Medien zunehmend als reiner Feiertag berichtet und er weitestgehend losgelöst von Forderungen der Lohnabhängigen kolportiert wird. Der Tagesspiegel schrieb zum Beispiel nicht, wo Veranstaltungen in Berlin sind, sondern, wie sie umfahren werden können. Der rbb berichtet mit Rentner Ulli vom Myfest ohne das Motto zu erwähnen. War dem Staatsfernsehen wahrscheinlich zu politisch. Einige Tausend Menschen auf dem Fest selbst und später auf Neukölln Straßen zeigten aber eindrucksvoll, daß das Verschweigen des Protestes und die Betonung des Krawall nicht demobilisiert!
One Trackback/Pingback
[…] Machnow sieht das etwas anders. Er bedauert, dass die ursprüngliche Bedeutung des 1. Mai, dem „Internationale[n] Kampftag für die Rechte der Lohnarbeiter_innen und für die soziale Revolution“, immer weiter in Vergessenheit gerät. Das Myfest im „längst gentrifizierten Bezirk Kreuzberg“ ist nur noch vermeintlich alternativ. Auch die Berichterstattung der Medien war nicht hilfreich: Der rbb interviewte einen Teilnehmer des Festes, ohne dessen Motto („Gegen Verdrängung, Ausgrenzung und Diskriminierung“) zu erwähnen. Der Tagesspiegel informierte nicht etwa darüber, wo die Veranstaltungen stattfanden, sondern wie man diese am besten umfahren konnte. […]