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Kein Erhalt der Neuköllner Kunstszene! Subventionierte Kulturvereine abwickeln!

Schon im Vorfeld des grandios gescheiterten Kulturfestivals 48 Stunden Neukölln, das ganz im Gegensatz zur kritischen Auseinandersetzung mit der rassistischen Politik im Bezirk Neukölln weitestgehend unbeachtet und ohne Resonanz blieb, hatte der Festivalchef Martin Steffens im Gespräch mit den Neuköllner Nachrichten versucht die Öffentlichkeit zur Unterstützung der vermeintlich gefährdeten (freien) Kunstszene in Neukölln zu mobilisieren. So behauptete er im Interview, daß Künstler_innen „grundsätzlich arm sind“, selbstverständlich am Rande der Existenzlosigkeit leben und dennoch „als Luxusgeschöpfe wahrgenommen“ werden, was „einen gewissen Neid auf Künstler“ bei der von Künstler_innen offenbar abgesonderten Bevölkerung auslösen soll. Hintergrund des plötzlichen Aktionismus jenseits imagebildender Inszenierungen zur Aufwertung des Kiezes ist das Ende der Zahlungen aus dem EU-Programm Soziale Stadt und die Streichung von 1-Euro-Jobber_innen-Stellen für die Kunst- und Kulturvereine. Aus diesem Grund hatten die organisierten Künstler_innen rund um das Kulturnetzwerk Neukölln und das Schillerpalais eine Unterschriftensammlung zum Erhalt der Neuköllner Kunstszene initiiert (siehe pdf), deren Aufruf allerdings nur so vor Selbstmitleid, Egoismus und Elitendenken strotzt sowie offen die forcierte, repressive Inanspruchnahme marginalisierter Menschen fordert. Dementsprechend fehlt jede Reflektion zur sozialen Situation der Menschen im Kiez und der eigenen Anteile an der Aufwertung von Neukölln.

Der unsägliche Aufruf der unkritischen und unreflektierten Künstler_innen aus Neukölln wurde vom Kulturnetzwerk Neukölln e.V., dem Verein Schillerpalais des kunst- und aktionsraums in der Schillerpromenade 4, von Kunstreuter international aus dem schon berühmt berüchtigten Kreuzkölln, dem WerkStadt Kulturverein Berlin e.V., dem Verein Traumpfad und 44 Cool Girls unterschrieben. Auffällig ist, daß weder sozial engagierte noch migrantische Initiativen und Vereine den Aufruf unterstützen, sondern lediglich staatlicherseits finanzierte und zur Imageverbesserung aktive Akteure beteiligt sind.

Das Kulturnetzwerk Neukölln ist maßgeblich verantwortlich für das Festival 48 Stunden Neukölln und hat seinen Sitz in der Karl Marx Straße 131, im selben Haus wie die Imagekampagne Aktion Karl Marx Straße der Brandenburgischen Stadterneuerungsgesellschaft mbH (BSG) und anderer imagefördernder Institutionen des Bezirks. Das Selbstverständnis des Vereins verbindet neoliberale Diskurse über eine Intervention zur „Neugestaltung eines Stadtteils“ mit einem sozialchauvinistischen Ansatz, der bürgerlich arrogant Künstler_innen zu Pädagog_innen für marginalisierte Menschen macht.

Kultur ist ein entscheidender Faktor bei der Neugestaltung eines Stadtteils, der von sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen besonders stark betroffen ist. Kultur braucht aber auch Ressourcen und Arbeitskräfte. Und Arbeitslose wiederum brauchen sinnvolle Tätigkeiten. Beides zu verbinden war 1995 Ausgangspunkt für die Schaffung eines Kulturnetzwerks für Neukölln.

Das verwendete Vokabular und die Rhetorik der Selbstdarstellung des Vereins erinnert durch Begriffe wie „Portfolio“ und „Partner“ eher an den Auftritt eines Unternehmens als an einen gemeinnützigen Verein.

Der Verein Schillerpalais, maßgeblich verantwortlich für das „Kunstevent“ nachtundnebel, einem herbstlichen Äquivalent zu 48h Neukölln im Frühjahr, präsentiert sich ganz anders. Aber auch hier erinnert die Selbstinszenierung eher an eine PR-Agentur, als ein einen kreativen Ort zur künstlerischen Intervention in den sozialen Raum. Der Anspruch ist deshalb auch weniger sich mit dem Material Stadt, seiner Umgestaltung und kritischen Betrachtung auseinanderzusetzen, sondern eine funktionierende „Schnittstelle zwischen der kiezbezogenen Kulturarbeit und der nationalen und internationalen Kulturszene“ zu sein. Kommunikation und Verkaufsplattform der in Neukölln arbeitenden Künstler_innen zu sein, was noch lange nicht heißt, daß sie dort auch leben (wollen), ist das ausformulierte Ziel des Vereins. Soziale Aspekte und eine kritische Auseinandersetzung mit der Situation im Kiez fehlt auch hier. So ist es auch nicht verwunderlich, daß im Aufruf zur Unterschriftenaktion zum Erhalt der staatlich finanzierten und durch Stadtsanierungsexperten protegierten Neuköllner Kunstszene jeder Bezug zur Aufwertung von Nord-Neukölln und der eigenen Verantwortung bei dieser Entwicklung fehlt. Die Verdrängung marginalisierter Menschen aus den Quartieren und der dies beschreibende Begriff Gentrifizierung kommen ebenfalls nicht vor.

Statt Selbstorganisation jenseits staatlicher Abhängigkeiten reagieren die bürgerlichen Künstler_innen und kapitalloyalen Kreativen mit der Forderung nach mehr Subventionen. Diese Konsequenz kommt nicht von ungefähr. Schließlich haben die Künstler_innen und ihre Vereine, wie sie im Aufruf beschreiben, „die Lebensqualität im Bezirk bedeutend gesteigert“ und Neukölln „für bestimmte Wirtschaftszweige zunehmend attraktiver“ gemacht. Was sie vergessen zu erwähnen, ist, daß die von den Künstler_innen angezogenen Unternehmen nun für die Verschärfung der eigenen Situation sorgen. Die Unterzeichnenden bemerken zwar, daß steigende Mieten für die Verschärfung „der finanziellen Situation“ und ein Leben „am Rande des wirtschaftlichen Existenzminimums“ sorgen, beziehen diese allgemeine Feststellung aber lediglich auf „Kulturschaffende“. Es fällt keine Wort, daß vor allem marginalisierte Menschen längst aus Neukölln wegziehen müssen, weil sie sich weder die Miete und schon gar nicht ein „Atelier“ im Kiez leisten können. Die zynische Forderung nach einer eigenen „Kunststaffel“ – gemeint ist wahrscheinlich eine sogenannte „Tafel“ für mittellose Künstler_innen – bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber anderen sozialen Gruppen zeugt ebenfalls von der vermeintlichen Herausgehobenheit von Kreativen und Künstler_innen, die gefälligst nach einer staatlichen Bevorzugung verlangt.

Statt die kapitalistische Verwertungs- und Nützlichkeitslogik zu kritisieren, die vor allem moderne Kunst betrifft, und die Relevanz von Künstler_innen für den Aufwertungsprozess von Stadtteilen zu thematisieren, fordert das loyale Kreativenstablishment noch mehr staatlich abkommandierte Arbeitssklaven zur Verwendung in den eigenen prekären Strukturen. Der vermeintlich bildungsferne Pöbel soll sich offenbar nützlich machen und den leidenden Künstler_innen zu Diensten sein. Schließlich brauchen Arbeitslose „sinnvolle Tätigkeiten“, wie das Kulturnetzwerk Neukölln meint. Das so allerdings die vermeintliche Freiheit der Kunst und ihrer Produzent_innen mit der existenziellen Unfreiheit marginalisierter Menschen verknüpft und affirmiert wird, stört die beteiligten Vereine und schließlich auch die Unterzeichner_innen offenbar wenig.

Der Aufruf und die Unterschriftenaktion der organisierten Neuköllner Künstler_innen beweisen, daß subventionierte und somit auch politisch abhängige Kunst und Kultur keinen Bezug zu der sie umgebenden sozialen Verfasstheit braucht und sucht. Die Finanzierung der Neuköllner Kunstszene ist weder notwendiges „Strukturelement der soziokulturellen Stabilisierung der Quartiere“, wie die verantwortlichen Vereine meinen, noch aktuell ökonomisch relevant. Neukölln und hierbei insbesondere Nord-Neukölln ist längst aufgewertet. Die Pioniere der Gentrifizierung, wie das Kulturnetzwerk oder das Netzwerk des Vereins Schillerpalais, werden nicht mehr benötigt. Sie haben ihren Zweck erfüllt. Die Aufwertung der Quartiere läuft selbstständig. Etablierte Leuchttürme der Kultur tragen sich ohne große Subventionen aus dem Bezirk und durch den Senat. Die vermeintlichen „Problemgruppen“, wie die Chefin des Vorortbüros der BSG im Schillerkiez, dem Quartiermanagments Schillerpromenade, 2009 über Rrom, osteuropäische Saisonarbeiter_innen und (in der Öffentlichkeit-) „Trinker“ schrieb, sind längst vertrieben. Die „soziokulturelle Stabilisierung“ läuft von ganz allein. Ein Erhalt ist nicht mehr nötig.

Statt nach mehr Subventionen zu rufen und die eigene Stellung zu überhöhen, sollten sich die Neuköllner Künstler_innen endlich mit den Menschen im Kiez und den sie ebenfalls betreffenden sozialen Brüchen beschäftigen. Die Stadt bietet genügend Material zur künstlerischen Intervention. Neukölln braucht keine künstlerisch weichegespülten (Ex-) Gentrifizierungspioniere, sondern engagiere Kunst- und Kultur, die den öffentlichen Raum subversiv zurückerobert.

Weniger Kunst – mehr Aktion!
Freiräume für alle!

One Comment

  1. denkbar (twitter)

    Danke für diesen Artikel!

    Posted on 18-Aug-11 at 17:31 | Permalink