+ U P D A T E + N A C H + E R S T V E R Ö F F E N T L I C H U N G + B E I + I N D Y M E D I A + Die Vorbereitungen zum diesjährigen sogenannten „Russischen Marsch“ am 4. November läuft auf Hochtouren. In zahlreichen Städten Russlands und der Ukraine formieren sich Bündnisse nationalistischer Gruppen und Organisationen, um den seit 2004 von Putin in Konkurrenz zum Tag der Oktoberrevolution (7. November) installierten „Tag der Einheit des Volkes“ zu begehen. Nach dem Verbot des größten Aufmarsches in Moskau, an dem sich nach Angaben der Organisator_innen bis zu 25.000 Nationalist_innen beteiligen sollten, verschärft sich die Rhetorik und die Mobilisierung zur Demonstration.
Als Scharfmacher produziert sich, wie schon zu verschiedenen Anlässen in den vergangenen Jahren, Dmitrij Demushkin. Seine Seite war vor kurzem noch tagelang offline, kann nun aber wieder aktualisiert und voll mit Mobilisierungsvideos zum „Russischen Marsch“ aufgerufen werden. Besonders viel Text gab es auf Demushkin’s Seite noch nie. Dafür sind die Videos, im Vergleich zu älteren, sehr viel professioneller und ästhetisch moderner. Viel bringen wird es wahrscheinlich dennoch nicht. Die Abrufe der Videos ist minimal.
Die Geschichte des Nazi und selbsternannten Führers Dmitrij Demushkin zeichnet die Entwicklung der militanten nationalen Bewegung erschreckend nach. Der überzeugte Nationalsozialist und Rassist ist ein Dinosaurier der Bewegung. Er war bis Ende der 90iger Sicherheitschef der Organisation „Russkoe Nazional’noje Edinstvo“ (Russische Nationale Einheit, RNE) und baute paramilitärische Einheiten innerhalb der Strukturen des größten russischen Nazi-Netzwerkes auf. Nach dem Verbot Ende der 90iger Jahre gründete er die militante Organisation „Slavjanskij Sojuz“ (Slawischer Bund), die im Frühjahr 2011 endgültig verboten wurde. Die neugegründete Organisation „Slavjanskaja Sila“ (Slawische Kraft) ist die faktische Weiterführung der Strukturen der älteren Gruppe.
Nach dem Verbot des „Slavjanskij Sojuz“ gründete Demushkin zusammen mit Aleksandr Belov Potkin von der ebenfalls verbotenen „Dvizehnije protiv nelegal’noi Immigrazii“ (Bewegung gegen nicht-legale Immigration, DPNI), der größten landesweit aktiven, spektrenübergreifenden, xenophoben udn rassistischen Organisation die „Dvizhenije Russkie“ (Bewegung Russen). Die Neugründung sollte sämtliche nationalistischen Gruppen, Initiativen und Organisationen in einem Netzwerk versammeln, ohne das diese die eigenen Strukturen aufgeben mußten. Bisher scheiterte dieses Vorhaben aber grandios. Deshalb muß der „Russischen Marsch“ in diesem Jahr groß und kämpferisch werden. Vor allem muß er das gesamte Spektrum abdecken. Da das „Zentralkomitee zur Vorbereitung des Russischer Marsch“ (in Moskau) aber in seiner Mehrheit der Führung von „Russkie“ entspricht, ist fraglich inwieweit die Sammlung der russischen Nationalist_innen realistisch ist. Vieles sprich dafür, daß es dazu nicht kommen wird.
Die Nervosität und Sensibilität der russischen Nationalist_innen im Allgemein und Demushkin im Besonderen läßt sich beeindruckend an einem Interview erkennen. Gegenüber dem Fernsehsender Novij Region 2 (NR2) und in einer eigenen Videoerklärung kündigt Demushkin an, daß der Marsch in jedem Fall stattfinden wird. Die Nationalist_innen wollen und werden im Zentrum von Moskau marschieren, polterte er. Wenn die Veranstaltung erlaubt wird, so Demushkin gegenüber NR2, werden 20-25 Tausend Menschen kommen. Falls der Marsch verboten wird, kommen bis zu 7.000 Menschen, die „bereit sind zu kämpfen“.
Die offene Drohung mit Gewalt erklärt sich aus dem Video, übrigens aufgenommen bei der Kundgebung zum selbsternannten „Tag des ethischen Verbrechens“, zur Bedeutung des sogenannten „Russischen Marsches“. Demushkin betont darin, daß der „Russische Marsch“ die wichtigste Veranstaltung des Jahres ist, die sämtliche nationalistischen Organisationen und Einzelpersonen versammelt und deshalb sowohl für die Vernetzung der Gruppen als auch für die Außenwirkung landesweit eine wichtige Konstante ist. Nichtsdestotrotz zeigt der Durchführung und die Diskussionen um den „Russischen Marsch“ aber regelmäßig auch, daß die vermeintliche Einheit der nationalen Bewegung und erst Recht des angesprochenen „russischen Volkes“ lediglich eine Konstruktion der Organisator_innen und Beteiligten ist.
Die Spaltungen und Animositäten innerhalb der nationalen Bewegung hält. Wie Natal’ja Judina vom Moskauer Analyse- und Informationszentrum „Sova“ in einem Bericht für das Portal Grani erläutert, haben sich, wie schon in den vorhergehenden Jahren, mehrere Bündnisse zur Durchführung des „Russischen Marsch“ gebildet, die sich gegenseitig der Heuchelei und der Kollaboration mit der Staatsmacht bezichtigen. Der Vorwurf der „Neuen Initiativgruppe zur Durchführung des Russischen Marsches“ gegenüber Demushkin und Belov (Bewegung Russen) ist, daß sie sich im Sommer freundschaftlich in Chechnja mit dem mafiös regierenden Präsidenten Ramzan Kadyrow getroffen haben und so die Interessen des „russischen Volkes“ gefährden. Freie und autonome Nationalist_innen beziehen sich ebenfalls auf dieses Argument und verweigern die Beteiligung am Marsch der „Bewegung Russen“. Unklar ist aber, ob es zu einer zweiten, wahrscheinlich sehr viel kleineren Veranstaltung kommen wird. Denn auch die „Alternativen“ Nationalist_innen sind untereinander zerstritten.
Neben den Diskussionen um den „Russischen Marsch“ in Moskau formieren sich landesweit eigene Bündnisse zur Durchführung von nationalistischen und xenophoben Veranstaltungen am 4. November. Die DPNI berichtet auf ihrer Seite, daß russlandweit in nahezu allen größeren Städten „Russische Märsche“ stattfinden werden. Bis zu vierzig sollen es landesweit sein. An circa der Hälfte ist die DPNI als Organisator_in maßgeblich beteiligt. Außerdem sollen in sechs (ost-) ukrainischen Städten – in Donezk, Cherson, der Hauptstadt Kiev, auf der Krim in Odessa und in Sevastopol und in Nikolaev – ebenfalls „Russische Märsche“ stattfinden.
Bisher ist unklar, wie die kremlnahe Jugendorganisation „Nashi“ reagieren wird. Sie hatte im vergangenen Jahr zu einem eigenen multiethnischen „Russischen Marsch“ aufgerufen, an dem sich mehrere zehntausend Menschen beteiligt haben. Das aus der staatsloyalen Richtung noch was kommen könnte, läßt die Erklärung von Dmitrij Medvedev erahnen, der gestern forderte die „nationale Thematik“ aus dem Wahlkampf zur Wahl der Föderalen Duma herauszuhalten. Putins Vorstoß über eine „eurasische Union“ verweist ebenfalls, daß von staatlichen Stellen in den nächsten Tagen mehr erwartet werden darf.
Während die staatlichen Behörden, die kremlnahen Organisationen und andere parlamentarischen Parteien aber zunächst noch zögern, werden Antifaschist_innen und Migrant_innen aktiv. So planen in Krasnojarsk nach Angaben von Baikal24 Bürger_innen einen Marsch der Migrant_innen. Die Organisator_innen beziehen sich hierbei auf die von Putin propagierte „eurasischen“ Kulturraum. Scherzhaft wird dieser Marsch von der Bevölkerung schon „Marsch der Okkupanten“ genannt. Damit kehren die Organisat_innen das DPNI-Motto „Russkie protiv Okkupantov“ (Russen gegen Okkupant_innen) des ersten „Russischen Marsches“ 2005 in Moskau um und wenden es positiv.
Es lohn sich also weiterhin die Ereignise rund um die „Russischen Märsche“ zu beobachten.