Skip to content

Antiziganistischer Hetze entgegentreten!

“Z* ins Gas!”, „Türken unters Messer!” oder „Z* zu Seife“ brüllen in diesen Tagen tausendene in den Straßen Bulgariens und Tschechienes. Seit rund zwei Wochen erleben bricht sich der tief verwurzelte Antiziganismus der örtlichen Mehrheitsbevölkerung in Pogromen gegen die Minderheit der Sinti und Roma Bahn. Brave Bürger, Nazis und Schaulustige veranstalten Demonstrationen mit Teilnehmer_innenzahlen im tausender Bereich, die regelmäßig in Hetzjagten auf vermeintliche Sinti und Roma oder Angriffe auf deren Häuser und Wohnungen münden. Es liegt nun an uns den öffentlichen Druck auf die aufzubauen, damit die Pogrome enden und keine Toten fordern. Darum: Am 6. Oktober auf die Straße gegen Antiziganismus und staatlichen Rassismus! Das Bündnis „Zusammen handeln“ ruft für den Donnerstag, 6.10.2011 ab 16 Uhr zur Demonstration „Die Pogrome gegen Roma und Sinti stoppen! Antiziganistischer Hetze entgegentreten!“ auf. Los geht es in der Wilhelmstraße 44 (U-Bhf. Mohrenstraße). Hier ist der Aufruf.

Derzeit erleben wir wieder verstärkt pogromartige Zustände und Stimmungen gegen Roma und Sinti in Teilen Europas. Es gibt Protestmärsche gegen sie, sie werden schikaniert und bedroht, um sie herum wird abgesperrt, Häuser werden angezündet, sie werden vertrieben, manchmal auch brutal ermordet. Behörden schauen zum Teil einfach zu oder weg und die Polizei versucht lediglich das Schlimmste zu verhindern. Gegenstrategien gibt es keine. Symptomatisch hierfür stehen zurzeit aktuelle Entwicklungen in Bulgarien und Tschechien

“Tschechien den Tschechen, Zigeuner ins Gas!” oder „Roma zur Arbeit“ sind nur einige der völkisch-nationalistisch und rassistisch motivierten Hetzparolen mit der sich Neonazis und Rassisten derzeit an die Spitze von Protesten gegen Roma und Sinti in Tschechien stellen. Dabei bedienen sie sich latent vorhandener antiziganistischer Bilder und Stereotype, um Ängste und Hass zu säen sowie Pogrome zu initiieren und auch durchzuführen. Diese Proteste u.a. organisiert von der neonazistischen „Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit“ finden seit mehreren Wochen u.a. im tschechischen Grenzgebiet zu Deutschland in Sluknow, Nový Bor, Varnsdorf, Rumburk aber zuletzt auch unangemeldet in Prag statt. Daran nahmen teilweise auch Neonazis aus Deutschland teil.

In Bulgarien herrschen derzeit ähnliche Zustände und darüber hinaus ist Wahlkampf. „Türken unters Messer“ und „Zigeuner zu Seife“ lauten dort u.a. die Hetzparolen von Fußball-Hooligans und Anhängern der neofaschistischen  Partei Ataka bei Protesten gegen Roma und Sinti in bisher 14 Städten. Latent vorhandener Antiziganismus in der bulgarischen Bevölkerung wird hier zum Stimmenfang im Wahlkampf benutzt und geschürt.

Als Anlass dienten einerseits Kneipenschlägereien im August in Tschechien und der daraus resultierende Versuch Roma und Sinti als ganze Bevölkerungsgruppe zu kriminalisieren sowie als Sündenböcke für alle gesellschaftlichen Probleme zu stilisieren. In Bulgarien wird dagegen ein Verkehrunfall vom 23. September im Dörfchen Katunitsa für antiziganistische Hetze instrumentalisiert. Vorangegangene private Streitigkeiten sowie eine daraufhin unterstellte Tötungsabsicht bei dem Verkehrsunfall bildeten den Funken, der die schon lange im Vorfeld betriebene Ethnisierung und Kulturalisierung sozialer Spannungen und Fehlentwicklungen zur Explosion brachten. Drei Häuser und Pkw`s gingen daraufhin in Flammen auf und die betroffene Roma-Familie musste evakuiert werden. Auch hier erscheint es einfach, nicht nur aber insbesondere in Krisenzeiten Minderheiten zu Sündenböcken zu konstruieren und rassistische Motivationen bei Teilen der so genannten einheimischen Bevölkerung zu nutzen bzw. weiter zu schüren.

Dafür werden z.B. einzelnen Straftaten ein rassistischer Hintergrund zugeschrieben bzw. Kriminalität gleich ganz ethnisiert und kulturalisiert. Auch VertreterInnen aus Politik, Medien und Gesellschaft beteiligen sich daran. So wurde und wird die Verantwortung der Politik für eine so genannte Ghettoisierung bzw. Isolierung von Roma und Sinti, hohe Erwerbslosigkeit, horrende Mietpreiswucherei und Perspektivlosigkeit sowie Bildungsarmut entweder geleugnet oder ihnen selbst zugeschrieben. Auch Versuche einen angeblich organisierten stetigen Zuzug zu suggerieren, um Ängste zu schüren, sind feststellbar. Gerade Länder und Regionen mit besonders starken sozialen Verwerfungen bieten dafür den idealen Nährboden, um Sündenbocktheorien etablieren und so Teile der Bevölkerung gegeneinander aufhetzen zu können. Populistische Lösungsvorschläge, wie mehr Polizei, gemeinnützige Stellen als „Gegenleistung“ für Sozialhilfe oder Pläne zur Bekämpfung der Ghettobildung sind nicht nur realitätsfern, sondern taugen ebenfalls lediglich zur Ablenkung von Ursachen, Verursachern und ProfiteurInnen denn als Lösung gegen eine fortgesetzte Ausgrenzung oder zur Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten. Sie dienen Neonazis, Rassisten und Rechtspopulisten als Anknüpfungspunkte und Legitimationsstrategien.

Übergriffe und Selbstjustiz sind die Antwort auf die Jahrzehnte lange Unfähigkeit, Untätigkeit bzw. Unwilligkeit der politischen Eliten gesamtgesellschaftliche Probleme wie Rassismus sowie soziale Ausgrenzung von den systembedingten Ursachen und nicht von den Symptomen heraus zu thematisieren und zu bekämpfen. Ursachen und Auswirkungen werden darüber hinaus einfach verdreht, um Symptome sozialer Ausgrenzung durch Stimmungsmache zur Legitimation von Repressionen und zur Erhöhung des Anpassungsdruckes zu benutzen. Eine Akzeptanz dafür ist durch breit vorhandenen Rassismus und Antiziganismus größtenteils schon geschaffen worden.  Bulgarien und Tschechien sind da keine Einzelfälle. Weder in Osteuropa noch in anderen Teilen Europas wurde Roma und Sinti je eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe ermöglicht. Kontinuitäten bei der Ausgrenzung von Minderheiten und ihre Benutzung als Sündenböcke lassen sich trotz der historischen Verantwortung nach dem Völkermord der Nazis an Ihnen auch weiterhin feststellen. Weder die EU noch deren Mitgliedsstaaten können bis heute wirkungsvolle Gegenstrategien oder Konzepte gegen Antiziganismus und Rassismus vorweisen. Reine Symbolpolitik oder Repressionen und Anpassungsdruck unter dem Deckmantel einer vorgeschobenen so genannten „Integrationsdebatte“ sind die einzigen „Angebote“. Abschiebungen in eine unsichere, nicht selten existenzbedrohende Zukunft sind ebenfalls die wahrgenomme und akzeptierte Normalität.

Wir wollen das nicht länger hinnehmen. Eine solidarische Gesellschaft kann nur über die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe aller Menschen realisiert werden. Soziale Ungerechtigkeit und Armut sowie Rassismus müssen daher aktiv bekämpft werden. Menschen lediglich auf ihre Nützlichkeit im Sinne ökonomischer Verwertbarkeit zu reduzieren sowie unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen ist zutiefst unmenschlich und bietet den Nährboden für Ungleichwertigkeitsideologien, Ausgrenzung und Sozialchauvinismus.

Deshalb rufen wir für den kommenden Donnerstag zu einer spontanen Protestdemonstration auf, bei der auch Petitionen an die Botschaften Tschechiens und Bulgarien sowie an die Vertretung der Europäischen Kommission mit Forderungen zur Beseitigung der Grundlagen für rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung übergeben werden sollen.

Beginn ist 16.00 Uhr vor der Botschaft Tschechiens, Wilhelmstraße 44 in Berlin-Mitte.