Seit dem 18. August ist Klaus Wowereit unterwegs in den Bezirken Berlins. Die SPD nennt diese Tour fälschlicherweise „Klaus im Kiez“, obwohl er doch in erster Linie auf der Bühne steht. Nur in der Wilmersdorfer, in Charlottenburg, schlenderte er durch die renommierte Einkaufstraße. In Steglitz, in Prenzlauer Berg am durchgentrifizierten Kollwitzplatz (heute Pankow), am Mehringplatz in Mitte (und eben nicht in Kreuzberg) oder in Lichtenberg und Schöneweide stand er nur auf der Bühne und keine_n hat’s interessiert. Nicht mal die Boulevardpresse oder der Tagesspiegel war es ein Bericht wert. In Neukölln wird es am 31. August womöglich anders aussehen. Schließlich mobilisieren „wütende Neuköllner_innen“ unter dem Motto „Aus der Klaus“ zur kritischen Intervention gegen das Wahlkampfspektakel des Regierenden Bürgermeisters.
Der Klaus, so erzählte er rbb Aktuell bei seinem Besuch der Gropiuspassagen in Neukölln, liebt den direkten Kontakt mit der Bevölkerung. Er freut sich unter Menschen zu sein, und freundlich aufgenommen zu werden. Solange es um Sympathie, seine Frisur und ähnlichen belanglosen Smalltalk geht, ist auch alles in Ordnung. Wenn es dann doch mal kritischer werden kann, muß aber schon eine Bühne her. Damit die Nähe doch nicht zu groß ist und die Hierarchien wiederhergestellt werden können – nämlich ihr da unten die Berliner_innen und Ichklaus, der Lächelnde, hier oben. Mit dem Platz der Stadt Hof hat sich Klaus Wowereit einen Ort gewählt, der sich in unmittelbarer Nähe zu den aktiven und informellen Akteuren in Nord-Neukölln befindet. Schließlich sind die zahlreichen Büros der aus Bezirksmitteln finanzierten Imagekampagne Aktion! Karl Marx Straße in gleich gegenüber. Aber auch das Kunst- und Kulturestablishment residiert nur ein paar Meter entfernt.
So ist in den Karl-Marx-Straße-Passagen der Verein Kulturnetzwerk e.V. zu finden – oder besser gesagt aufgrund fehlender Klingelschilder oder ähnlicher Kennzeichnung nicht zu finden – der im Zuge des gescheiterten PR-Festivals 48 Stunden Neukölln in einem Aufruf und der dazugehörigen Unterschriftensammlung um mehr 1-Euro-Jobber_innen, eine Künstler_innen-Tafel und mehr Subventionen bettelte. Wie auf diesem Blog schon zu lesen war, ignorieren die Stadt- und Staatskünstler_innen allerdings jeden Bezug zu den sie umgebenden sozialen Verhältnissen und der Verdrängung marginalisierter Menschen aus Neukölln.
Diese Ignoranz setzt sich bei der vom Bezirksamt Neukölln an die Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft delegierte Imageverbessungskampagne Aktion! Karl Marx Straße fort. Federführend im Projekt ist, wie schon bei der Aufwertung und Verdrängung im Schillerkiez, das umtriebige Potsdamer Gebäudesanierungs- und Stadterneuerungsunternehmen BSG. Horst Evertz leitet die Projektsteuerung und residiert in der Karl Marx Straße 117, genau an der Ecke gegenüber vom Platz der Stadt Hof. Der zweite wichtige Akteur innerhalb der Aktion! Karl Marx Straße ist die Agentur dieraumplaner mit Sitz in Tiergarten. Der Verantwortliche ist hierbei Philip Gehrke, der am 31. August bei einer geschlossenen Veranstaltung zu Aufwertungsstrategien für Nord-Neukölln in der Kindl-Brauerei dabei sein wird. Hier lohnt sich bestimmt auch ein Besuch!
Nur ein paar Meter die Karl Marx Straße runter residiert der umtriebige Sozialdemokrat und seit zehn Jahren amtierende Bürgermeister, Heinz Buschkowsky. Er kämpft schon lange für den Austausch der Bevölkerung und eine Verdrängung marginalisierter Menschen aus Neukölln, nur nennt er dies süffisant „soziale Durchmischung des Kiezes“ . Er möchte, daß vermeintlich unkontrollierbare soziale Gruppen und sogenannte Parallelgesellschaften durch kreative und solvente Bürger_innen ersetzt werden.
Sein Konzept der „sozialen Kontrolle“ wurde insbesondere durch den antiziganistischen Migrationsbeauftragten, Arnold Mengelkoch, konkretisiert und als umfassender Repressions- und Überwachungsapparat praktisch umgesetzt. Vernetzt, ämterübergreifend und unter Beteiligung der Sicherheitsorgane gehen städtische Beamt_innen gegen marginalisierte Menschen vor. Betroffen sind hierbei vor allem Sinti und Roma, die bewußt aus dem Kiez vertrieben werden. Die ökonomische Aufwertung der Quartiere hat hierbei die schon bekannte Brandenburgische Stadtsanierungsgesellschaft mbH und die von ihr betriebenen Quartiersmanagmentbüros und ihre Kampagnen übernommen.
Also, Klaus Wowereit dürfte sich – so glaubt er offenbar – auf dem Platz der Stadt Hof wohl fühlen. Die zahlreichen Imageverbesserungsaktivitäten sorgen seit Jahren für oberflächliches und weichgespültes kreatives Potenzial im Kiez. Neue Ketten, Standardläden, austauschbare Cafés und Restaurants wurden angezogen, aufgehübscht und hochglanzglitzernd präsentiert. Die Neuköllner Oper dürfte er auch schon kennen – den Leuchtturm und Ausgangspunkt einer Kulturrevolution im Kiez, die auch Kulturbegeisterte aus den gentrifizierten Innenstadtbezirken auf der Suche nach morbidem Charme anlockt.
Damit sich Klaus Wowereit nicht ganz so wohl fühlt, wie er zu hoffen scheint, und um ihn mit der Wut im Kiez zu konfrontieren, schließen wir uns dem Aufruf zur Störung der SPD-Wahlkampfveranstaltung.
31. August, Platz der Stadt Hof – 16 Uhr
Wahlkampfspektakel durchbrechen!
Klaus aus dem Kiez jagen!
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[…] publiziert. Heute zog Analyse Kritik Aktion nach und schloß sich dem Protest mit einer eigenen Unterstützungerklärung an. Wir dokumentieren hiermit den Text. Seit dem 18. August ist Klaus Wowereit unterwegs in den […]