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Sarrazin und Buschkowsky – zwei Seiten einer („neurechten“) Medaille

Thilo Sarrazin, der Berliner Ex-Finanzsenator, bekannt für Sprüche zu Hartz-IV-Menüs, existenziellen Energie- und Wärmereserven sowie der vermeintlichen ökonomischen „Nutzlosigkeit“ von Türk_innen und Araber_innen, war in Kreuzberg und soll laut Güner Balci von ganz schlimm gewalttätigen Antifaschist_innen und pöbelnden Migrant_innen vertrieben worden sein. Komisch nur, daß in der Aspekte Sendung am Freitag weder etwas von gewaltbereiten Antifas, noch von einem aggressiven Mob zu sehen war. Genauso wenig wurden aber auch Sarrazins xenophoben und moralisauren Sprüche zum vermeintlich ungebührlichen Verhalten der Kreuzberger_innen oder der Bezug auf den Status als „Gäste“ in Deutschland Bezug genommen. Ich will mal positiv für Balci annehmen, schließlich wollte sie Sarrazin mit der migrantischen Wirklichkeit konfrontieren, daß sie politisch und jounrnalistisch naiv war. Außerdem hat sie offenbar nich mit einer derartigen Kritik und Protest gerechnet. So klein und harmlos er war, Balci war selbst in der späteren Analyse der Ereignisse sichtlich überfordert. Heinz Buschkowsky dagegen reagierte bewußt populistisch und stigmatisierend. Er beschimpfte implizit den multikulturellen Anspruch und die Grenzen der gesellschaftlichen Toleranz als politische Unreife und pöbelte wild, ganz im Sinne von Sarrazin, ebenfalls gegen den vermeintlichen Werteverfall bei Migrant_innen.

Buschkowskys Vorstoß paßt vorzüglich zu seiner anti-multikulti Ideologie, in der sich Migrant_innen und vermeintlich migrantische Menschen, die zu solchen lediglich durch ihre nicht-„weiße“ Genealogie werden, gefälligst, wie „Deutsche“ zu Benehmen haben und sich anpassen sollen. Hierbei benutzt Buschkowsky den selbstgeprägten Begriff „Bio-Deutsche“ (die er aus Neukölln zu kennen glaubt), der jene Bürger_innen kennzeichnen soll, die einen Ariernachweis erbringen können. Alle anderen, die NPD würde sie „Plastik-Deutsche“ nennen, sind kulturell anders und würden Neukölln in wenigen Jahren in einen orientalischen Stadtbezirk verwandeln.

Sarrazin bezieht sich in seinem Buch und in seinen Äußerungen bei seinem Besuch in Kreuzberg und zu anderen Anlässen, wo er auf Kritik mit der Frage nach der Staatsbürgerschaft antwortet, ebenfalls auf den (neo-) rassistischen Diskurs um „echte“ also „Bluts-Deutsche“ und migrantische deutsche Staatsbürger_innen. Letztere sorgen regelmäßig bei Sarrazin, Buschkowsky und anderen nationalistischen Populist_innen für den den Verfall Deutschlands.

Sarrazin reproduziert in seiner Xenophobie und seinem bürgerlichen Sozialchauvinismus offen rassistische und sozialdarwinistische Ideologeme, die er durch konstruierte Statistiken zu beweisen sucht. Er agiert in einer pseudo-wissenschaftlichen Virualität, die mühelos an sogenannten „neurechte“ Diskurse andocken kann. Buschkowsky kommt mit seiner sehr viel persönlicheren Perspektive, die sich nur marginal auf Statistiken stützt, sondern immer wieder Anekdoten generalisierend zu einem populistischen Gesamtbild konstruiert, zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch er zeichnet ein farbiges Bild einer vermeintlichen Überfremdung, einer Segregation und damit einhergehenden Vertreibung einer „bio-deutschen“ Bevölkerung.

Migrant_innen sind bei Buschkowsky Material der Erziehung und Konditionierung. Die vermeintliche Überfremdung, die bei Buschkowsky nicht mehr zu verhindern ist, muß durch Zwang zur europäischen Werteordnung und Europäisierung der Migrant_innen geheilt werden. Allein der „weiße“ Kleinfürst weiß aber, wie seine migrantischen Vasallen dazu gebracht werden können sich zu „benehmen“ – nämlich durch Repression, Überwachung und vor allem Sanktionen, welche die Existenz unmittelbar betreffen. An dieser Stelle denkt Buschkowsky einfach praktisch weiter, was Sarrazin stastisch nachzuweisen glaubt. Nämlich, daß Migrant_innen „dumm und faul“ sind und erst durch Bildungszwang „zivilisiert“ werden können (siehe der Charakter der Orientalen, die durch Emotionalität unangenehme Diskussionen wegwischen möchten, Sarrazin in Aspekte)

Die Stringenz und Kontinuität zwischen Sarrazins Sozialchauvinismus und Rassismus sowie Buschkowskys Kontrollwahn läßt weit zurück verfolgen. Buschkowsky hat hierbei schon früh seine Nähe zur sogenannten „Neuen Rechten“ bewiesen, als es Sarrazin getan hat. Im Jahr 2005 gab Heinz Buschkowsky der Salonfaschisten-Postille „Junge Freiheit“ ein Interview (pdf). Er bekam dafür mächtig Ärger aus allen Parteien. Sein Rücktritt wurde gefordert. Er mußte sich, wie schon so oft für seine überstürzten anti-migrantischen Aktionen, in der Bezirksverordnetenversammlung von Neukölln rechtfertigen. Die Autonome Neuköllner Antifa und das Projekt H48 positionierten sich im Rahmen eines Aktionstages am 25. April 2005 gegen die Nazi-Hetze von Buschkowsky. Der Kleinfürst entschuldigte sich für seine politische „Naivität“ und distanzierte sich von der Zeitung. Von den Positionen, die er damals im Interview vertreten hat, hat er sich bis heute allerdings nicht verabschiedet. Deshalb will ich sie hier noch einmal kurz betrachten und mit aktuellen Zitaten verdeutlichen, daß er (immer noch) eine ideologische Nähe zu Positionen von Salonfachist_innen und anderen deutschtümelnden Nazis hat.

Das Interview ist eine grauenhafte Selbstinzenierung des Neuköllner Bürgermeisters als Kassandra der deutschen Mehrheitsgeellschaft. Buschkowsky macht sich zum politischen Martyrer, der sich zum Sprachrohr einer schweigenden deutschen Mehrheit, der „Biodeutschen“ wie er heute sagen würde, macht und endlich die „Wahrheit“ über Multikulti, Integration, Parallelgesellschaften usw. sagen will, jenseits einer „Mafia von Gutmenschen“ und einer zensierenden „political correctness“. Das dies in eine Nazi-Postille paßt, ist nicht verwunderlich.

Interessant und besonders widerlich ist seine Ansicht zu vermeintlich migrantischen Bezirken. Diese sollen entstanden sein, weil Ideen und Visionen einer „multikulturellen Gesellschaft“ existierten. „Multikulti“ selbst ist nach Buschkowsky „Schuld“ daran, daß „in unseren Städten Gebiete der sozialen und ethnischen Segregation entstanden sind“. Demnach völlig belanglos ist offenbar, daß Migrant_innen vor allem aus ökonomischen Gründen in Bezirken mit billigen Mieten lebten. Sie arbeit(et)en in Berufen, die schlecht bezahlt wurden und werden. Migrant_innen sind offenbar selbst Schuld daran, daß ihnen zu wenig bezahlt wurde und daß sie billig wohn(t)en.

In späteren Jahren erzählt Buschkowsky gerne davon, daß die („weißen“) Deutschen aus Nord-Neukölln weg- und in die modernen Wohnungen in Süd-Neukölln einzogen. Der billige Leerstand wurde von Migrant_innen bezogen, die in den Fabriken in Kreuzberg und Neukölln arbeiteten. Die Umkehrung der Segregation und die Mär‘ von der kulturellen Vertreibung, die Buschkowsky 2005 in der „Jungen Freiheit“ von sich gibt, muß deshalb als populistische Anbiederung an nationalistische und xenophobe Wähler_innengruppen verstanden werden und ähnelt damit der heutigen (moderaten) Unterstützung für Sarrazins „Thesen“.

Buschkowsky unterstellt Migrant_innen im Interview und auch später, ähnlich wie Sarrazin in seinem Buch und seinen Publikationen, eine bewußte Besiedlung vermeintlich genuin deutscher (Stadt-) Räume, die eine migrantische Hegemonie zum Ziel hätte. Was bei Sarrazin die „Invasion der Kopftuchmädchen“ und bei Pastörs die „Samenkanonen“ sind, wird bei Buschkowsky etwas subtiler die Abkapselung innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft und der vermeintliche Unwille sich in die deutsche „Werte- und Rechtsordnung“ integrieren zu wollen.

Diese Art der Betrachtung migrantischer Menschen, die grundsätzlich als „feindlich“ betrachtet werden, ist bis heute in den Äußerungen von Buschkowsky zu finden. Hierbei bezieht sich der Neuköllner Bürgermeister immer wieder auf die vermeintlich ökonomische Eindimensionalität, die auch Sarrazin als Herabwürdigungsgrund erkennt. Hinzu kommt, daß Buschkowsky die Idologie vom „clash of civilizations“ aggressiv reproduziert und so erst die Grenze zwischen deutschen Bürger_innen und migrantischen setzt, wobei erstere Ängste ausstehen müssen sowie verdrängt werden und letztere die eigentliche Hegemonialmacht sein sollen.

Diese Reproduktion sogenannter „Überfremdungsängste“ gepaart mit einer Abgrenzung von migrantischen Lebenswelten, die ihre sozialen sowie ökonomischen Realtitäten bewußt verdrängt und stattdessen repressive Interventions- und Überwachungsinstrumentarien favorisiert, hat sich bis heute nicht verändert. Vielmehr dramatisiert Buschkowsky seit einigen Jahren sehr viel heftiger. Zuletzt waren Rroma sein bevorzugtes Ziel. Sie sollen unkontrollierbar Neuköllner Häuser „besetzen“ und allein schon durch ihre Anwesenheit für „Konflikte“ sorgen. Aus diesem Grund werden sie durch Taskforces und andere vernetzte Kontrollinstitutionen überwacht und offensiv vertrieben. Sie sollen weg, wie mehrfach der Migrationsbeauftragte von Neukölln und Antiziganist Arnold Mengelkoch (in-) direkt äußerte.

Also, statt sich emphatisch mit den sozialen Realitäten dieser Menschen auseinanderzusetzen und sie zu verbessern suchen, polemisiert, skandalisiert und kriminalisiert Buschkowsky die Rroma. War es 2005 noch eine vermeintlich „türkische Parallelgesellschaft“, die den Kleinfürst aus Neukölln störte, sind es heute salafistische Kreise und Rroma Großfamilien, die sich absondern würden. Völlig verdrängt wird hierbei, daß Rroma sowohl politisch als auch strukturell dazu gezwungen werden in der sozialen und ökonomischen Grauzonen zu überleben. Rroma werden in Deutschland offen entrechtet und marginalisiert. Ihnen wird nicht einmal eine Chance gegeben hier zu leben.

Die islamfeindlichen Floskeln und xenophoben Phrasen in dem älteren Interview mit der „Jungen Freiheit“ haben sich seit Jahren nicht verändert. Buschkowsky holt sie immer wieder raus, wenn er mal wieder Publicity und Geld braucht. Seine repressive Bildungspolitik in Neukölln ist gescheitert. Sein Desinteresse an präventiver Jugendarbeit und der respektvollen Auseinandersetzung mit den Wirklichkeiten von Migrant_innen in Neukölln ist mit einer Überhöhung staatlicher Zwangsmaßnahmen und Bildungszwang verknüpft. Die Ignoranz gegenüber einer sozialen Perspektive zu Gunsten einer Ideologie der „sozialen Kontrolle“ etabliert Ausgrenzung und Herrschaftsverhälnisse, die von den staatlichen Institutionen ethnisierend und kulturalistisch gerechtfertigt werden.

Buschkowsky ist bis heute ein geistiger Brandstifter, der glaubt die deutsche Mehrheitsgesellschaft gegen eine generalisierend vermeintlich archaische homogene migrantische „Parallelgesellschaft“ verteidigen zu müssen. Er beruft sich bis heute auf nationalistische Versatzstücke, rassistische Ausgrenzung und ethnische Hierarchien, die problemlos mit Nazipositionen vereinbar sind. Er mobilisiert so die „weißen“ deutschen Bürger_innen gegen Migrant_innen, die ihn deshalb bereitwillig wählen. Doch wehren sich die Stigmatisierten und Ausgegrenzten zunehmend, wie beim Besuch von Sarrazin in Neukölln und Kreuzberg zu sehen war. Ob demnächst auch Buschkowsky Gegenrede zu spüren bekommt?