Schießen ist weltweit wieder mächtig in Mode gekommen. In den Vereinigten Stadten werden bevorzugt Abgeordnete abgeknallt. In Ägypten sind es junge Menschen, Frauen, Kopt_innen, Ultras usw. Der sogenannte demokratische Protest eben. Und er geht übrigens weiter. In Libyen siehts anders aus. Da ballern wild gewordene al-Gaddafi Gläubige durch die Gegend, bombardieren die so euphorische Bevölkerung und glauben doch ernsthaft die beschossenen Libyer_innen wären al Kaida Terrorist_innen. Warum ist für den gelifteten Wahnsinnigen eigentlich keine Kugel übrig, fragt sich zurecht milka. Ich hätt‘ auch nix gegen ’ne kleine Rakete, Bombe oder ein Messerchen für den „Zombie“… Also, schießen ist in. Und zwar auch in der Kunst, wie Andreas Hartmann in der aktuellen Jungle World schreibt.
In Hartmanns Artikel geht es um die Ausstellung „Shoot!“ im c/o in der weitestgehend Berliner_innenfreien Oranienburger Straße. Ich war da bestimmt schon Jahre nicht mehr. Außer vielleicht zu Demonstrationen oder irgendwelchen Paraden. Vielleicht sollte ich aber doch mal wieder hingehen. Die Ausstellung klingt nämlich interessant.
Anlegen, zielen, abdrücken, schießen, nachladen – wer ins Schwarze trifft, begeht fotografischen Suizid oder visuelles Harakiri. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg tauchte der sogenannte Fotoschuss als kuriose Attraktion auf Jahrmärkten auf. Die spielerische Herausforderung beinhaltet die verstörende Geste, angesichts der fotografischen Trophäe auf sich selbst angelegt zu haben. Welch‘ seltsame Faszination, sein eigenes Ego in eine Zielscheibe zu verwandeln, oder – um den Preis eines Bildes – der Versuchung zu erliegen, ein Duell mit sich selbst als Gegner auszutragen.
Der genuine Ansatz war, so beschreibt Hartmann in seinem Artikel, allerdings zunächst kein künstlerischer. Das extra-bürgerliche Kirmesvergnügen wird erst in der gesammelten und retrospektiven Betrachtung zum künstlerischen Objekt, das den seriellen Ansatz und das individuelle Spektakel verbindet. Pop-Art, Konzept-Kunst, (Life-) Performance und der schnöde bürgerliche Alltag treffen epochenübergreifend aufeinander und öffnen einen weiten Diskurs um (Selbst-) Inszenierung, Kontrollfetisch und -verlust sowie die vermeintlich unauratische Reproduktion des immer gleichen.
Ganz besonders spannend fand ich den Absatz zu Ria van Dijk, die seit 1936 – seit sie 16 Jahre alt war – auf Jahrmärkten immer wieder das besondere Vergnügen der Selbst(ab)schnappschüsse praktiziert. Hartmann beschreibt sehr schön, wie diese Fotografien historisch, ästhetisch und doch auratisch aufgeladen sind.
Auf den Bildern sieht man, wie Ria van Dijk mit den Jahren immer dicker und älter wurde, und an den herumstehenden Menschen erkennt man, wie sich über die Jahre hinweg die Mode und die Frisuren wandelten. Zweiter Weltkrieg, die Hippie-Ära, die Achtziger, alles kam und ging, aber Ria van Dijk hatte beim Fotoschießen all die Jahre immer ihren lässigen Schützenblick. Der Blick ist die einzige Konstante auf all diesen Bildern.
So schön aber der Blick auf die Fotografien und durch sie sein mag, ich vermisse doch etwas verdammt wichtiges. Mit „Shoot“ verbinde ich nämlich die wahrscheinlich kürzeste Live-Performance (Video) von Chris Burden aus dem Jahr 1971, die wahrscheinlich kein Mensch richtig wahrgenommen und gesehen hat. Die Milisekunden sind eher eine akustische Erfahrung für’s Publikum, die allerdings durch die Vorbereitung, die Anordnung der Akteure und den Schuß selbst echt heftig ist. Für Buden selbst war es auch schmerzhaft, wie einige andere Performances aus dieser Zeit (siehe Doku Selected Works 1971-74) in denen er immer wieder das Publikum mit ins ikonographische ästhetisierter Gewalt, Schmerz und Autorität konfrontiert. Burden hat übrigens öfter das Schießen thematisiert, aber offenbar sind seine künstlerischen Beiträge zum Thema in der Ausstellung im c/o nicht zu finden. Ein krasses Versäumnis!
Aber gut, woll’n wa‘ ma‘ nich‘ so sein und trotzdem hingehen. Schon allein wegen der Massenballerei Installation, in der die Betrachter_innen visuell und akustisch von Schüßen durchsiebt werden sollen. Ma‘ kucken…