Am vergangenen Wochenende trafen sich in Berlin alle erdenklichen, noch so kleinen, vermeintlich „linken“ Politsekten zur sogenannten Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt und zum Gedenken an die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch Freikorps-Paramilitärs am 15. Januar 1919. Im Zuge der Debatte über die nicht gegangenen „Wege zum Kommunismus“ oder doch zum (sozial-) „demokratischen Sozialismus“ gab es in diesem Jahr kleinere Rangeleien und Auseinandersetzungen mit anti-kommunistischen Nationalist_innen.
Am Rande der RL-Konferenz wurden Mitglieder_innen der ominösen „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ (VOS), die Ende der 50iger im damaligen West-Berlin von Wiederkehrer_innen aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft gegründet wurde, angegriffen und verprügelt. Vera Lengsfeld, die antikommunistische Aktivist mit beachtlicher politischer Laufbahn, soll dabei, schon am Boden liegend, weiter getreten worden sein. Die umtriebige ehemalige DDR-Dissidentin, die sich während der Wendezeit ökologischbewegt tarnte, um endlich dort anzukommen, wo sie hingehört – nämlich in der CDU – und so endgültig ihrem stramm konservativen Freiheitsdrang Ausdruck verleihen durfte, störte sich offenbar wenig daran, daß sie zusammen mit Nazis von „Pro Deutschland“ demonstrierte.
Den deutschnationalen Anti-Kommunist_innen der Pro-Bewegung ging es allerdings weniger um die vermeintlichen Opfer irgend einer kommunistischen Diktatur, sondern vielmehr um ein antiterroristisches Statement gegen die „revolutionäre Strategie“. Dieses Begriffspaar hatten die Nazis aufschnappt und es mußte zur Rechtfertigung der altbewährten, konservativ-revolutionären Praxis der Aneignung und Verkehrung antifaschistischer Ikonographie herhalten. So kreierten sie den selten dämlichen Slogans „Terrorismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Besonders perfide ist daran, daß Manfred Rouhs, der Führer von Pro Deutschland, nicht nur die Opfer der Nazis verhöhnt indem er ihnen „die noch bei weitem zahlreicheren Morde der Kommunisten“ gegenüber stellt, sondern eine „ideologische Vorbereitung“ von zukünftigen kommunistischen „Massenmorden“ phantasiert.
Aber genau an diesem abstrusen, antikommunistischen Phobie kann der VOS und Vera Lengsfeld offenbar vorzüglich andocken. Schließlich haben Offizielle der Anti-Stalinist_innen ein ganz besonders emotionale Nähe zu ehemaligen Wehrmachtssoldat_innen, Flüchtlingen aus Ostpolen, Nazi-Politiker_innen, Antisemit_innen, wie Horst Mahler, und anderen freiheitlichen Nationalist_innen, welche die deutsche Kultur schützen wollen. Deshalb ist es auch unklar, ob die Intervention explizit die VOS-Demonstrant_innen treffen sollte, oder doch gegen die Nazis der Pro-Bewegung gerichtet war.
Die Konferenz hat der Vorfall offenbar wenig gestört. Weder die Sicherheitskräfte, noch die Teilnehmer_innen scheinen sich zum Angriff großartig geäußert haben. Lediglich im Innenauschuß des Berliner Abgeordnetenhaus wurde die „Rangelei“ thematisiert. Die Linke distanzierte sich, wie so oft in den letzten Tagen, offenbar offensiv. Schließlich gibt es in der Linken, so Marion Seelig, keine Gewalt. Aha! Da finde ich Gregor Gysi aber amüsanter. Der hat gestern wenigstens jede eutopisch emanzipatorische Vision in drei Sätzen aus der Linken ausgeschlossen. Da brühlt er fröhlich vor sich hin und beendet die Kommunismus- und die Programmdebatte.
Wir waren keine kommunistische Partei! Wir sind keine kommunistische Partei! Und wir werden keine kommunistische Partei werden. Das ist entscheidend. Und diese Botschaft können wir der Bevölkerung mitteilen!
Die SED, das muß ich aber hier noch einmal anmerken, war ebenfalls keine „kommunistische“ Partei. Sie nannte sich Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Die KPdSU mag sich zwar „kommunistisch“ genannt haben, war aber eher eine (stalinistisch) bolschewistische Parteibürokratie mit dazugehörigem Staat. Ansonsten erinnert mich Kommunismus eher an das christliche Paradies, religiöse Utopien oder SciFi, denn an mordende Schergen.
Das sonntägliche Gedenken war im Übrigen ähnlich bunt und zum Teil abstoßend. Ich wußte gar nicht, daß es immer noch DDR-Nostalgieker_innen gibt, die sich unbedrängt auf einer emanzipatorischen Gedenkdemo rumtreiben dürfen. Aber bei dem Organisationsbündnis wundert mich wenig.
So wichtig die Erinnerung an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und die Verstrickungen der sozialdemokratischen Gegenrevolutionär_innen ist, mensch sollte eventuell auch offensiv antagonistische Wege suchen, um den autistischen Politsekten eine undogmatische Perspektive auf die Ermordung der beiden Spartakist_innen und Revolutionäre zu ermöglichen. Das die A.R.A.B. sich selbst und ihren „entschlossenen“ sowie „kämpferischen“ Block lobte, verwundert wenig. Auch wenn die Pyros etwas hatten, kamen aus dem Block jedoch über die gesamte Route kaum Parolen. Die Schilder mit ermordeten Revolutionär_innen waren zwar ebenfalls beeindruckend, dennoch fehlte die lautstarke Information, warum, gegen wen und wofür am Sonntag Menschen durch Lichtenberg zogen. Kämpferisch sieht anders aus. Entschlossen ebenfalls. Die Polizei hielt sich, trotz massivem Aufgebot, einfach zurück. Eine Eskalation kam von dort eher weniger.
Das LL-Wochenende (zum Teil völlig unverständlicherweise mit noch einem ‚L‘ für Lenin versehen) hat sich wieder einmal als bundesweite Folkloreveranstaltung für Stalinist_innen, Bolschewist_innen, Trotzkist_innen, internationalen Befreiungsnationalist_innen, anderen Kleinst-Polisekten und Antifa-Gangs, die ihr eigenes Märtyrerritual abzogen, sowie einigen wenigen emanzipatorischen Antifaschist_innen präsentiert. Das einzig beeindruckende war, daß generationsübergreifend erinnert wurde. Rosa und Karl eignen sich eben doch vorzüglich für alle vermeintlich „linken“ Menschen, die jenseits stalinistischer und bolschewistischer Verbrechen eine Eutopie an eine kommunistische Gesellschaft von „Gleichen“ jenseits kapitalistischer Verwertungsmuster glauben. Der große alternative Brei findet zusammen.
Luxemburg und Liebknecht haben aber etwas mehr verdient. Die Dominanz der Linkspartei, die den Diskurs um beide dominiert, sollte gegen sie thematisiert werden. Die aktuelle Programmdebatte und die Distanzierung von der Eutopie Kommunismus zugunsten eines (sozial-) „demokratischen Sozialismus“ innerhalb der parlamentarischen Demokratie ohne antikapitalistische und emanzipatorische Option, beweist, daß die Linke auf dem Weg ist, sich vollends aus außerparlamentarischen, emanzipatorischen Diskursen zu verabschieden. Der Text von Gesine Lötzsch und ihr zaghaftes Abrücken vom Begriff des Kommunismus sollte nicht darüber hinwegtäuschen, das die Linke längst zur eigentlichen sozialdemokratischen Partei geworden ist.
Luxemburg und Liebknecht starben auch, weil sie den Sozialdemokrat_innen nicht paßten. Ebert und Co. haben nicht umsonst jede Revolte jenseits bürgerlicher und gewerkschaftlich kanalisierter Kämpfe verfolgen lassen. In Berlin starben Spartakist_innen. In München waren es Anarchist_innen. Auch daran sollte erinnert werden. Gegen die Linkspartei, die DDR-Nostalgiker_innen und die anderen Politisekten.
Rosa & Karl – Gegen Staat und Kapital!
Fotos bei pm_cheung und thomas rassloff
One Comment
danke für diese zusammenfassung