2010 soll, laut der Gesellschaft für Deutsche Sprache, das Jahr der „Wutbürger“ gewesen sein. Zwar kennt die außer den Redakteur_innen und Leser_innen des neuen rechtskonservativen und misanthropischen Leitmedium „Spiegel“ keine_r. Dennoch waren die „Wutbürger“ überall zu finden. Dirk Kurbjuweit behauptet in seinem Artikel, der die bewegten, deutschen Lampenputzerrevoluzzer_innen beschreiben will und so glaubt erklären zu können, „warum die Deutschen soviel protestieren“. Er meint damit übrigens nicht gewerkschaftliche oder andere marginal(isiert)e soziale Proteste, sondern Sarrazin und die S21-Gegner_innen. Schließlich demonstrieren Deutsche nicht gegen soziale Kürzungen, die Entsolidarisierung der Krankenkasse oder gegen die anderen sozialchauvinistischen Aktivitäten der Politik, sondern lediglich für Bäume, Nazibahnhöfe oder trauen sich endlich zu sagen, was alle denken (sollen).
Erstaunlich ist aber auch, neben der umfaßenden und blödsinnigen Charakteristik der vermeintlichen „Wutbürger“, daß erst die Auszeichnung der obskuren Gesellschaft von Gemanist_innen, Sprachwissenschaftler_innen und anderer unbekannter Kulturwissenschaftler_innen der GfdS den Diskurs um „Wutbürger“ hegemonial gemacht und ihn die die breite Öffentlichkeit getragen hat. Ähnlich wie der Begriff des „Gutmensch“ wurde durch die Entscheidung deutscher Sprachhyginieker_innen ein Wort (und eine Debatte) geadelt, die ein Negativbild engagierter Menschen etabliert und in Zukunft zum stehenden Begriff gegen jene macht, die sich in irgend einer Weise (vermeintlich) nonkonformistisch betätigen. Das Spektrum reicht hierbei von Rassist_innen, wie Sarrazin über Islamophobiker_innen, wie Stadtkewitz, den Anti-S21-Bürger_innen, Pro-Wikileaks Sexist_innen bis zu emanzipatorischen Aktivist_innen. Dem „Gutmensch“ wird der „Wutbürger“ an die Seite gestellt. Die einen nerven durch humanistische Moral und Altruismus, die anderen durch Störung der öffentlichen Ruhe. Schluß mit „die Gedanken sind frei“ in der eigenen bürgerlichen Stube. Jetzt heißt es, raus mit den Rollatoren!
Mir fällt zum Begriff des „Wutbürger“ aber immer nur die eine Fresse ein. Mit den Autor_innen des revolutionsoptimistischen Pamphlets „Der kommende Aufstand“ (siehe linksunten) des Unsichtbaren Kollektivs, die laut Zeit und Johannes Thumfart ganz besonders perfide, reaktionäre „Wutbürger“ sein sollen, hat meine Assoziation wenig zu tun. Auch die heimattreuen Stuttgarter_innen, antiatomaktiven Ökobürger_innen, den „Bionade-Müttern“ und Dreisam-Vätern verbinde ich nicht mit dem „Wutbürger“. Ich sehe immer nur den Stammtischrotzer, tendenziell faschistoiden und rassistischen Durchschnittarbeiter und in seinen Minderwertigkeitskomplexen zerfressenen Alfred Tetzlaff aus der Serie „Ein Herz und eine Seele“ vor mir. Und so wurde er Anfang der 70iger wahrgenommen.
Adolf Hitler ist auferstanden, wenn auch mit Pantoffeln und Zigarre, wenn auch nur 158 cm groß und verheiratet. Hauptsache er ist überhaupt wieder da, dieser antisemistische, fremdenfeindliche, nationalistische, brutale, antidemokratische, reaktionäre, tyrannische – kurz, der hässliche Deutsche.
Heute ähnelt Sarrazin irgendwie an ihn.
2 Comments
Sprachhyginieker_innen?
Heute ähnelt Sarrazin irgendwie an ihn?
deshalb!
im zeichen des „sprachdienst“ und der „muttersprache“, obwohl das staatsbürger_innenrecht ja immer noch dem blut der väter folgt. für die richtige pflege des scheißdeutschen.