In den letzten Tagen echaufiert sich die vermeintlich demokratische Welt mit ihren westlichen Freiheitswerten im Anschlag wieder einmal über politische Einflußnahme in die Zivilgesellschaft Russlands. Michail Chodorkowski, nun mehr schon zum Oppositionellen und Freiheitskämpfer aufgestiegen, wird massiv betrauert und der Strafprozess gegen ihn als politische Farce bezeichnet. Das die Festnahme und die zahlreichenVerurteilung von Chodorkowski vor allem ökonomisch motiviert sind, wird in den meisten Journalist_innen-Sammelstuben in den (PR-) Agenturen und politischen Beratungsfirmen geflissentlich unterschlagen. Mitnichten ist der Moskauer Unternehmer ein emanzipatorischer Kämpfer für die Rechte der Russ_innen. Sein Imperium wuchs lange mit staatlicher Unterstützung heran und gedieh fabelhaft unter der Regentschaft des Zaren Jelzin und seines Clan. Zu keinem Zeitpunkt hatte Chodorkowski ein besonderes Interesse an freier Information oder einem sozialen Staat. Das auch politische Motive, neben den sehr viel dominanteren ökonomischen, die Verfahren gegen Chodorkowski beeinfluss(t)en, ist unübersehbar. Das solch eine Instrumentalisierung der Strafverfolgungsbehörden allerdings auch im sogenannten „zivilisierten Westen“ systemimmanent ist, wird von den (Staats-) Medien im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit stolzgeschwollener Demokrat_innen-Brust verdrängt.
Michail Chodorkowski war bis zu seiner Verhaftung zu einem der reichsten Männer der Welt aufgestiegen. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB soll er laut Forbes der reichste Russe gewesen sein. Seine Karriere als Wirtschaftsmagnat und (mafiöser) Oligarch begann Ende der 80iger während der sogenannten „Perestrioka“. Zunächst gründete er mit Studienfreund_innen eine eigene Firma und importierte westliche Produkte. Hierbei konnte er auf seinen aufgrund seiner Laufbahn als Komsomol auf seine zahlreichen Verbindungen zu Leitungskader_innen in der Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) zurück greifen. Neben seiner Handelstätigkeit nutzte er die Privatisierung des Bankensektors für sich und übernahm 1989 die regionale Zweigstelle der staatlichen Bank Zhilsozbank in Frunse und gründete nur wenige Monate später die kommerzielle Bank „Menatel“, die als erste Privatbank eine Linzenz von der staatlichen Bank „Gosbank CCCP“ bekam, und machte sich zum Vorstandsvorsitzenden.
Schon zu Beginn seiner Karriere nutzte Chodorkowski geschickt alte KPdSU Netzwerke, Familienverbindungen seiner Studienfreund_innen und Professor_innen, die ihn offenbar schon sehr früh mit den jeweiligen politischen Eliten verband. War es zuerst Gorbatchew, mit dem er über den Banker, Depurtierten und Bolschewistischen Bürokraten Vladimir Dubov freundschaftlich verbunden war, protegierte ihn nach 1993 der Clan um Jelzin. Die Verbinungen in den Machtapparat war breit gefächert und weit verzweigt. In den 90igern, dem Jahrzehnt der Oligarchen, stieg Chodorkowski schnell zum wichtigen ökonomischen und politischen Akteur auf. Als sogenannter Oligarch profitierte er, seine Familie, seine Freunde und Bekanntschaften, kurz sein Clan, auf mehreren Ebenen von der Privatisierung des gesamten sowjetischen Volkseigentums, an dem er und andere Oligarchen sich auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung bereicherten.
Nachdem Chodorkowski durch ein Geflecht von Banken und Investmentgeschäften zum Milliardär geworden war, sattelte er 1992 um und engagierte sich bei der Privatisierung der energetischen Ressourcen der zerfallenden Sowjetunion. Die Privatisierung, oder besser Ausverkauf, der nunmehr russisch-föderativen Volkswirtschaft durch die Ausgabe von Vouchern auf das „Volkseigentum“ im Jahr 1995 brachte Chodorkowski die Aktienmehrheit der Ölfirma „Jukos“ (Юкос) ein. Nachdem er die Firma vollstädnig übernommen hatte, kümmerte sich Chodorkowski zielstrebig darum „Jukos“ zur größten Ölfirma in Russland und einer der wichtigsten weltweiten Ölverarbeiteten Unternehmen zu machen.
Im Rahmen der russischen Wirtschafts- und Bankenkrise 1998 und der massiven Abwertung des Rubels verlor „Menatep“ seine Bankenlizenz und ging bewußt Pleite, offenbar um westliche Gläubiger_innen nicht auszahlen zu müssen. Es dauerte bis ins Jahr 2003 bis Banken aus dem Westen wieder mit Chodorkowski zusammenarbeiteten. Seine sogenannte Konsolidierung des russischen Ölmarktes, besser beschrieben allerdings als zunehmende Monopolisierung der ölverarbeitenden Industrie in Russland, konnte er dennoch zielstrebig und erfolgreich bis ins Jahr 2003 weiter verfolgen.
Die Festnahme von Chodorkowski am 25. Oktober 2003 auf dem Flughafen in Novosibirsk steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit Putins Kampagne die oligarchischen Machtstrukturen zu schwächen und sie dem Staat unterzuordnen. War in den 90iger Jahren eher der Staat das politische Organ der Oligarchen, versuchte Putin die eher regionalen Clanstrukturen und beinah schon föderativ-mafiösen politischen Netzwerke der Oligarchen bewußt zu kappen und durch eine zentralistisch organisierte Staatsbürokratie, die sich auf seine landesweiten Sicherheitsbehörden verlassen konnte, zu ersetzen. Chodorkowskis marginales politisches Engagement und seine Unterstützung für die liberalen Parteien „Jabloko“ und den „Sojuz Pravych Sil“ (SPS) sowie für die „Kommunistische Partei der Russischen Föderation“ (KPRF) dürfte nicht, wie Peter Franck von Amnesty International in der TAZ behauptet, ausschlaggebend gewesen sein. Auch sein vermeintlich selbstloses Projekt „Otkrytaja Rosija“ (Offenes Russland) zur Stärkung der russischen Zivilgesellschaft muß in seinem Einfluß auf politische Diskurse in Russland ähnlich wie die zahlreichen Kasparov Projekte als marginal eingeschätzt werden. Selbst das Gerücht, das der SPS Chodorkowski zum Präsdientschaftskandidaten machen wollte, dürfte Putin wenig Kopfschmerzen bereitet haben. Aber die Monopolisierung des Geschäfts mit russischen Öl- und Gasprodukten unter dem Dach von „Jukos“ und in Händen von einem vermeintlich liberalen, wohl eher aber mafiösen Oligarchen, dürfte sehr viel problematischer gewesen sein. Schließlich versuchte Putin seit der Jahrhundertwende die Energieindustrie in Russland zu verstaatlichen und der Kontrollen der Ologarchenclans zu entziehen. Oligarchen erschien hierbei als besonders renitent und uninteressiert an der Zusammenarbeit. Abramovic war da „vernünftiger“ und ließ sich einbinden.
Chodorkowski, der Pate und seine Gegner, wie der Tagesspiegel schreibt, ist kein Opfer. Sein(e) Verfahren sind sowohl strafrechtliche Verfolgung, ökonomische Bestrafung und politische Abrechnung zu gleich. Hier stehen sich allerdings nicht ein politischer Oppositioneller und schon gar nicht ein emanzipatorische_r Aktivist_in sowie der repressive Staat gegenüber, sondern es sind zwei Akteure desselben Systems, die ihren ökonomischen Dissenz und den Verteilungskampf um Ressourcen vor Gericht austragen. Der Staat sitzt (zur Zeit) hierbei am längeren Hebel. Solange Putin in Russland an maßgeblicher Position die Herrschaft des Kapitals sichert, wird dies auch so bleiben.
Der protrst gegen das Urteil aus dem Westen ist einfach nur lächerlich. Sich zu beschweren, daß in Moskau ein politisches Urteil gefallen wurde, istz eher eine Posse aus der Rubrik des moralischintegre „Westen“ zeigt, wie es richtig geht, statt einer ernsthaften Analyse. Die Empörung von Westerwelle und Co. ist lediglich ein stummer Schrei, der ausblendet, daß in bundesdeutschen Gerichten und durch Bundesbehörden an jedem Tag politische Verfahren geführt und Repressionsmaßnahmen umgesetzt werden. Die Verfolgung von Antifaschist_innen, sogenannten „Haß-Brenner_innen“ und „autonomen Chaoten“ hebelt immer wieder übliche Rechtskonstruktionen aus. Die politisch gewollte und medial abschreckend inszenierte Durchsuchung von Klaus Zumwinkel im Rahmen der Ermittlungen um Steuerflüchtlinge steht im krassen Gegensatz zur Schonung zahlreicher anderer Manager_innen, wie zum Beispiel Dirk Jens Nonnenmacher, der Millarden „verbrannte“ und bis heute Vorstandsvorsitzender der staatlichen HSH Nordbank ist. Erfogreiche Finanzbeamte, die hartnäckig im Nacken hessischer „Steuerflüchtlinge“ saßen, wurden von Roalnd Koch höchtspersönlich versetzt, psychatrisiert und in den Vorruhestand geschickt.
Deshalb ist jede Solidarität mit Chodorkowski aus emanzipatorischer Sicht abzulehnen. Gegen ihn läuft ein politischer Prozess. Na und! Chodorkowski steht wie keien Zweiter für die Entsolidarisierung der russischen Gesellschaft. Das Oligarchensystem etablierte patriachale Clanhierarchien, die eher an Stammeskollektive erinnern, den an liberale Gemeinschaften gleichberechtigter Individuen. Die nationalistische Kritik an Chodorkowski, die sich nicht selten antisemitischer Klischees bedient, täuscht hierbei eine Diskrepanz zwischen Staat und Kapital vor, um sich für den Staat entscheiden zu können.
Scheiß auf Chodorkowski! Auf Putin und seine Sicherheitsbehörden! Solidarität mit den zahlreichen inhaftierten Antifaschist_innen, Anarchist_innen und anderen emanzipatorischen Aktivist_innen in Russland!
2 Comments
Hm, in der Presse wurde geschrieben, dass andere Oligarchen (darunter viele Kumpels von Putin) unbehelligt bleiben und Ch. nur verfolgt wird, weil er gegen Putin steht.
Chodorkowski und sein Clan hat sich, das ist richtig, offenbar mit Putins Clan angelegt udn den kürzeren gezogen. Das hat aber nich mit Politik, sondern mit ökonomischen Verteilugnskämpfen weniger zu tun. Auf Seiten Putins steht ein staatlicher Apparat mit loyalen Sicherheitsbehörden und Unternehmer_innen. Chodorkowskis Zeit ist vorbei. Ihn zum „Oppositionellen“ zu machen, verkennt die Lage. Chodorkowski ist Banker, Ölmagnat und ökonomisch-politischer Intrigant. Er ist ein kapitalistischer Mafioso und Pate! Keinesfalls ist Chodorkowski jemensch, den ich verteidigen werde!