Die von überall her nach Neukölln zugezogenen Bürgerskinder wollen nicht mehr in der Sonnenallee wohnen und nennen die Straße deshalb hippiesk harmlos lieber Sonne. Die wärmt und lacht den ganzen Tag. Zumindest, wenn sie zu sehen ist. Dieses sprachliche Aufwerten der eigenen Wohnsituation setzt sich bei den Jung-BoBos gastronomisch fort. Es wird nicht mehr Gourmet Essen beim Sterne-Koch schnabbuliert, sondern Slow Food ist angesagt. Und wenn’s mal gar nicht geht, dann darf’s aber doch auch mal Döner, Köfte, Burger & Co. sein. Aber nur ausnahmsweise.
Die Epigonen des „anständigen“ Essens sitzen im übrigen in Kreuzberg und wollen dort die Markthalle IX zu ihrer Zentrale umbauen. An vorderster Front kämpfen Christoph Albrecht und die FreundInnen der Eisenbahnhalle für eine „Gentrifizierung von unten“, wobei sie ihre Rolle als Gentrifizierer*innen positiv verklären (müssen) und eine vermeintliche Basisbewegung vortäuschen. So geht völlig unter, oder besser, wird bewußt und offensiv verdrängt, daß die Anwohner_innen im Kiez sich überteuertes Öko-Zeugs nicht leisten können und aus diesem Grund lediglich „weiße“ Deutsche sich in der Initiative engagieren.
Pikant ist außerdem, daß Albrecht einer der fünf Mitglieder_innen der Investorengruppe Markhalle IX ist, die mit einem sozial aufgemotzten Konzept gegen die anderen (Groß-) Investoren um den Kauf der Halle konkurieren. Zwei weitere, mensch möchte fast Vorstandsmitglieder_innen schreiben, sind die beiden Köche Bernd Maier und Florian Niedermeier, die am Kollwitzplatz arbeiten. Der dortige Kiez wurde trotz massiver Proteste und Engagement der Anwohner_innen, wie Andrej Holm zu berichten weiß, in Jahren harter Arbeit aufgewertet und die „ursprüngliche“ Bevölkerung verdrängt.
Im Eisenbahnstraße-Kiez ging und geht die Gentrifizierung sehr viel schneller voran, so daß schon heute massive Verdrängungsprozesse zu beobachten sind. Dies wird sich weiterhin fortsetzen. Deshalb kämpfen die Gentrifizierer_innen schon jetzt für ein Exklusives Nachbarschafts- und Kulturzentrum für das Bionade-Biedermeier-Bürgertum. Damit die Bionade-Bürger_innen auch ihre digitale Bohemians sowie kulturellen Prekären versorgen können. Die Selektion der Mieter_innen passiert hierbei übrigens weniger ethnisch, sondern sozial, was aber ähnliche Effekte hat.
In einer Studie der F+B GmbH zur Entwicklung der Neuvermietungen in bundesdeutschen Großstädten kommen einige interessante Details zu Tage. Die Morgenpost hat eine Grafik veröffentlich, in der zu sehen ist, daß sich die Mietsteigerungen im Eisenbahnkiez bei über 20 % befinden. Das freut ganz bestimmt die Köche vom Kollwitzplatz und Albrecht, den selbsternannten Gentrifizierer „von unten“. Die Prinzessinnengärten und ihre eigens in Gründung befindliche Nomadisch Grün GmbH dürfte es ebenfalls freuen. Schließlich können sich nun immer mehr Menschen ihre 4-Euro-Anti-Soli-Kommerz-Suppe zur Unterstützung von sich selbst leisten. Und nicht nur der Sterne Koch.
Wowereit gefällt es übrigens auch, daß die Mieten steigen. Verdrängung und Aufwertung der Kieze sind für ihn offenbar ein Zeichen für die gestiegene Kaufkraft der Berliner_innen. Nur, woher die kommen soll, bei sinkenden Leistungen, stangnierenden Löhnen, zunehmender Prekarisierung und dem Ausbau des Niedriglohnsektors in Berlin, muß er mir erstmal verraten.
Mir fällt hierzu nur Zuzug von Bürgerskindern und Verdrängung von Migrant_innen sowie sozial schwächerer Mieter_innen ein. An der „Sonne“ sind nämlich die Mieten in den letzten drei Jahren zwischen 15-20 % gestiegen. Im Schillerkiez gibt es erste Wohnungen, die für 9,80 Euro / m² kalt vermietet werden sollen. Auch dort liegen die Mietsteigerungen bei Neuvermietungen zwischen 15-20 %, was allerdings aktuell wahrscheinlich nach oben korrigiert werden muß.
Also, scheiß auf Slow Food! Wir brauchen mehr social food! Und die soziale Revolution! Gegen Kommerzialisierung und kapitalistische Verwertung!