Am 19. Januar 2009 wurde der Anwalt und Anarchist Stanislaw Markelov sowie die Journalistin und Antifaschistin Anastasija Baburova auf offener Straße ermordet. Sie kamen gerade aus einer Pressekonferenz. Stas wurde hingerichtet. Nastja wollte helfen und starb ebenfalls. Im November 2009 wurden die zwei Nazi-Terrorist_innen Nikita Tichonov und Evgenija Chasis als Mörder_innen der beiden verhaftet. Eine dritte beteiligte Person ist offenbar weiter flüchtig. Antifaschist_innen hatten die Festnahmen kritisch begleitet, sind allerdings heute fest davon überzeugt, daß mit Tichonov und Chasis die Mörder_innen von Stas und Nastja hinter Gittern sitzen.
Der Mord sorgte damals auch im „Westen“ für mächtig Wirbel – schließlich war Markelov als Menschenrechtsanwalt auch dort bekannt. Die Mumaßungen der bürgerlichen Presse konzentrierte sich deshalb vor allem auf Chechnja und seine Ermittlungen gegen einen russischen Offizier sowie gegen den Clan des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrov. Die Nazispur wurde nicht verfolgt.
Die Genoss_innen von Stas und Nastja waren sich allerdings sicher, daß Nazi-Terrorist_innen hinter der Ermordung steckten. Im Aufruf zur Gedenkdemosntration am heutigen Mittwoch schreibt das Bündnis 19. Januar folgendes.
Der Mord war frech und demonstrativ. Obwohl von Anfang an verschiedene Versionen der Hintergründe der Tötung diskutiert wurden, waren Genoss_innen von Stas und Nastja aus der antifaschistischen Bewegung von Beginn an überzeugt, daß die Spur zu Nazis führen würde. Schließlich war Stanislav Markelov der Initiator der sorgfältigen Untersuchung des Mordes am jungen Antifaschisten Alexandr Rjuchin, der im Frühling 2006 ermordet wurde. Insbesondere aufgrund seiner Bemühungen mißlang es den Mord zu vertuschen und die Ermittlungen zu behindern. Ihm ist es zu verdanken, daß die Ermittlungen nicht nur zum Erfolg führten, sondern der Fall auch vor Gericht landete. Die Hälfte der Beteiligten am Mord wurden gefunden, festgenommen und verurteilt. Nach den flüchtigen Beteiligten wird föderal gefahndet. Weitere Spuren führten nach Chechnja und nach Chimki. Markelov prozessierte gegen russisch-föderale Sicherheitsbeamte in Chechnja, die friedliche Chechen_innen folterten und töteten, sowie gegen die chechnische Führung selbst, die in Diebstähle und Morde verwickelt sein soll. Außerdem war er der Anwalt des halbtot geprügelten Journalisten Michail Beketov, der gegen Streltschenko, den Bürgermeister der Stadt Chimki, prozessierte.
Der „Westen“ verfolgte medial lediglich die tschetschenische Spur. Alle anderen waren nahezu irrelevant und wurden verworfen. Da die Verwicklung des Kremls und die „tschetschenische“ Spur sich allerdings zunehmend verbrauchten, blieb das Interesse der „westlichen“ Medien bald aus. Über die Festnahmen wurde kaum berichtet. Die Aktionen in Erinnerung an die anarchististischen und antifaschistischen Aktivist_innen wurden ebenfalls nicht erwähnt.
In diesem Jahr, dem zweiten Todestag, rief das Antifaschistische Bündnis 19. Januar landesweit zu zahlreichen Aktionen in Erinnerung an Markelov und Baburova auf. Unter dem Motto „Vereint sind wir unbesiegbar!“ (Пока мы едины – мы непобедимы!) soll(te) gegen Xenophobie und Naziterror demonstriert werden. Insbesondere die fremdenfeindliche Pogrome und Übergriffe auf vermeintlich nicht-slawische Menschen, die sich seit dem Herbst 2010 häufen und immer besser organisiert durchgeführt werden, machen es notwendig ein klares Statement gegen Faschismus und Nazismus in die Öffentlichkeit zu bringen.
Wie auch im Rest von Europa setzt sich in Russland Fremdenfeindlichkeit und die Akzeptanz gegenüber xenophoben Aktionen in breiten Schichten der Gesellschaft durch. Soziale, ethnische und rassistische Ausgrenzungen werden mehrheitsfähig. Weder in Russland noch in Deutschland reagiert der Staat und seine Bürokrat_innen mäßgend, sondern er schürt (bewußt) fremdenfeinliche Vorurteile und grenzt offen Migrant_innen aus. In Deutschland werden in der Diskussion um „Integration“ diskursiv vermeintlich nicht-deutsche Ethnien und Religionen ausgeschlossen und eine vermeintlich „autochthone“ Kultur imaginiert. In Russland sind es nicht-slawische Menschen, wie Asiat_innen, „Kaukasier_innen“ udn andere Nicht-Weiße Menschen, denen eine andere Kultur zugeschrieben wird und die deshalb mit Repressionen oder Übergriffen rechnen müssen.
Antifaschistischer Protest und emanzipatorische Strukturen jenseits nationalistischer Exklusionsdiskurse werden seit Jahren zunehmend kriminalisiert und verfolgt. Selbst nach den Pogromen in mehren russischen Städten im Dezember letzten Jahres ließ die Repression nicht nach. Die Zivilgesellschaft bleibt weitestgehend indifferent gegenüber der wachsenden Xenophobie und Ausgrenzung in Russland. Der Staat läßt militante Nationalist_innen gewähren und sprengt lieber antifaschistische Veranstaltungen.
Aus diesem Grund ist es wichtig, den emanzipatorischen Kampf der Genoss_innen in Russland und den anderen osteuropäischen Ländern tatkräftig zu unterstützen.
Пока мы едины – мы непобедимы!
Verein sind wir unbesiegbar!