Markthallen sind zur Zeit mächtig in. Die Eröffnung der Marheinike Markthalle in der durchgentrifizierten Bergmannstraße wurde breit und euphorisch gefeiert. Die viel zu hohen Standmieten, die sich kein_e ansäßigen Einzelhändler_innen leisten können, spielten kaum eine Rolle. Das viele bekannte eher hochpreisige Ketten mit Läden einzogen, störte ebenfalls das sogenannten Bionade-Biedermeier Bürgertum nicht. Schließlich wurde ein Stück authentisches Berlin wiederbelebt. Ähnlich kiezverbunden und nostalgisch verklärt werben nun verschiedene Akteure für die Übernahme der Markthalle IX zwischen der Eisenbahn- und der Pücklerstraße auf der anderen Seite von Kreuzberg. Kommerzielle Interessen weit entfernt von sozialem Engagement zur Schaffung eines nachbarschaftlichen Treffpunkt dominieren sowohl den Handelsinvestor, der aus der Halle einen weiteren Konsumtempel machen will, als auch die bürgerlichen Initiativen.
Der Investor soll, wie die taz schrieb, weitestgehend unbekannt sein und seine Pläne unklar. Dabei ist klar, daß Kaisers Tengelmann und Hollmann interessiert sind. Aber ominöse Kapitalist_innen kommen in X-Berg immer besser. Schließlich lassen sich so die bürgerlichen Privatisier_innen so einfacher aufwerten. Wenn die mediale Seligsprechung nicht reicht, muß eben ein offenbar mysteriöser Heuschrecken-Kapitalist her. Dann fällt der andere Interessent, die Projektgruppe Markthalle IX (in einem anderen Artikel der taz auch Investorengruppe Markthalle IX genannt), welche die Halle kaufen und „als sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Mittelpunkt des Kiezes authentisch wieder beleben“ möchte, nicht mehr so auf. An ihrer Seit stehen übrigens die FreundInnen der Eisenbahn Markt Und Kultur Halle (ehemals Anwohnerinitiative Lausitzer Platz). Ersteres, also die Anwohner-Investor_innengruppe, wird hierbei durch fünf einzelne, solvente Menschen geleitet, die einen gastronomischen Hintergrund haben. Letzteres sind Bürger_innen, die sich besonders dafür verschrieben haben ein „wunderbares Bauwerk“ vor dem Zerfall und Zugriff von Billigketten zu retten. Unter dem Motto „Halle für alle“ soll „ein schöner Ort zum Einkaufen und sich Begegnen“ mit einer „Kulturfläche neuN“ und einem „Markt im Markt“ geschaffen werden.
Der Anspruch der Anwohner_innen-Initiative war zunächst die Markthalle vor der Privatisierung im vergangenen Jahr zu retten. Zur Zeit geht es eher darum eine bestimmte Kommerzialisierung zu verhindern, nämlich eine durch Niedrigpreisgeschäfte. Das Konzept der Projektgruppe, quasi der kommerzielle Arm der architektonisch interessierten und engagierten Bürger_innen und Freund_innen der Markthalle IX, das vor allem eine hochpreisigen kommerzielle Nutzung anstrebt, ging aus der Anwohner_innen-Initiative hervor und wird durch sie unterstützt. Die vermeintlich offen Diskurse, die eine Markhalle „für alle“ suggerieren, verweisen allerdings eher auf eine durchkommerzialisierte Nutzung.
Die sozialen Floskeln beider Bionade-Biedermeier-Akteure stellen sich schnell als PR-Inszenierung heraus. Migrantische Anwohner_innen werden nicht angesprochen und sind in der kommerziellen Nutzung offenbar nur als Konsument_innen vorgesehen, wobei diese allein schon durch die hochpreisigen Produkte ausgeschlossen werden. In einem Artikel des Neuen Deutschland zu einer Veranstaltung der Projektgruppe / Anwohner_innen-Initiative anläßlich der Bio–Landwirtschaftsdemo am Samstag wird die soziale Inkompetenz und Indifferenz erschreckend sichtbar. Es sollen, so die Gastronom_innen der Projektgruppe, in der Markthalle „handwerklich und kulturell hochwertige Lebensmittel“ verkauft werden. Hinzu kommt, daß sie lokal verankert sein muß, aber auch „über den Kiez hinaus strahlen [soll], um wirtschaftlich funktionieren zu können“. Soziale Projekte werden als „teure Sozialeklempnerei“, wie Christoph Albrecht, einer der FreundInnen der Markthalle und Anwohner gegenüber der Berliner Zeitung sagt, offenbar abgelehnt und sind nicht notwendig. Schließlich ziehen verstärkt („weiße“) Familien in die sanierten Altbauten. Es entstand ein neuer Spielplatz. Szenekneipen und Spezialitäten-Läden öffnen… Alles super, an der Aufwertungsfront!
Gegen das soziale Engagement wird immer wieder Kultur stark gemacht, was ja grundsätzlich nichts schlechtes ist. Die Projekt- / Investorengruppe Markthalle IX meint damit zunächst Slow Food und arbeitet deshalb mit der gleichnamigen Initiative zusammen. Hochwertige und exotische Produkte sollen nun auch dort gekauft werden, wo die Bionade-Bürger_innen wohnen werden. Die Autobahn ist demnächst auch um die Ecke, wie schon beim Kiezspaziergang 2008 von Anwohner_innen beschrieben wurde. Die sind jetzt wahrscheinlich gar nicht mehr da. Dafür wohnt das zahlungskräftige Klientel der „Halle für alle“ schon dort.
In Neukölln zum Beispiel gibt es seit einiger Zeit ebenfalls einen Slow Food Laden in der Flughafenstraße. Der Edel-Italiener Lavanderia Vecchia zieht abenteuerlustige Kundschaft ins „gefährliche“ Neukölln und bietet stylischen working-class Charme. Das Morbide liegt auf der Straße. Das Restaurant ist selten geöffnet, aber immer besetzt. Sozial schwache Laufkundschaft wird von den imaginiert italophilen Eigentümer_innen draußen vom (guten) libanesischen Pizzabäcker bedient. Im Hinterhof muß mensch vorbestellen.
In Kreuzberg etablieren sich immer mehr vermeintlich alternative Bürger_innen- und Anwohner_innen-Initiativen. Dahinter stecken nicht selten eigene kommerzielle Interessen, die entweder Ergebnis eines schon laufenden oder beginnenden Aufwertungsprozesses sind. Die Prinzessinnengärten, betrieben durch die Nomadisch Grün (g)GmbH, ist ebenfalls solch ein Beispiel bei dem emanzipatorische und antikapitalistische Ansätze kommerzielle gewendet und so für das vermeintlich alternative Bionade-Biedermeier-Bürgertum nutzbar gemacht wird. Der soziale Aspekt ist nur zur Selbstausbeutung interessant. Die Prinzessinnengärten sind übrigens ebenfalls mit den bürgerlichen Privatisierer_innen der Projektgruppe und der Freund_innen der Markhalle IX verknüpft.
Der Prozess im Kiez an der Eisenbahnstraße sollte weiter beobachtet werden. Offenbar sind die Verdrängungsprozesse dort soweit fortgeschritten, daß sich die Pioniere nun häuslich einrichten und ihren Kiez den eigenen bürgerlichen Bedürfnissen anpassen. Dahinter steckt weniger soziale Verantwortung, sondern eine aggressive Verdrängung und Ausschluß der vorhandenen Strukturen.
One Comment
Das wüsste ich aber mal gerne wie die Prinzessinnengärten „übrigends“ mit der Markthalle IX verknüpft sind?