Die Immobilienbranche streckt ihre Fühler zunehmend nach Neukölln aus. Selbst eingefleischte Prenzl’Berg Symphatisant_innen müssen sich eingestehen, daß der Lieblingsbezirk abgegrast und die kauffreudigen „Kunden“ versorgt sind. Mehr Haus- und Wohnungsware gibt es nicht mehr. Also zieht die Karawane weiter. Und zwar nach Neukölln. So sucht Kai (aus Kreuz/Kölln), ein offenbar verzweifelter Immobilienscout bei Herbert & Kohlmeyer, schon via twitter „Objekte“ in Neukölln.
Herbert & Kohlmeyer ist ein Immobilienunternehmen mit Sitz in der lange Jahre kulturavandgardesken Lychener Straße. Russendisko, Balkanpop und Bläserelectro war erstmals dort zu hören. Die Bars, Lounges und Cafés in der Lychener galten lange Jahre als besonders hip und der nahen Kulturbrauerei um Lichtjahre voraus. Mit der Veränderung der Bevölkerungsstruktur im Kiez seit Mitte der 90iger Jahre begann die permanente Bourgeoisierung.
Herbert & Kohlmeyer begannen ihre Ver- und Aufwertungsarbeit Nahe des Kollwitzplatzkiez (über den viel auf dem Gentrificationblog zu lesen ist) im Jahr 2003, also zu einem Zeitpunkt, als die ursprüngliche kreative Szene längst nicht mehr vorhanden und einem bürgerlichen „weißen“ Homogenisierungszuzug gewichen war. Die Philosophie des Unternehmens ließt sich deshalb wie eine positiv verklärte Geschichte über Gentrifizierungsprozesse in einem Quartier.
… Berlin hat sich verändert. Vor sechs Jahren [gemeint ist 2003, AdA] formulierten wir: „Berlin ist eine Lüge, die langsam wahr wird“, ein Konglomerat von Dörfern, das gern Metropole sein möchte. Inzwischen hat Berlin viel erreicht und ist dennoch „arm, aber sexy“ geblieben. Kann eine Stadt Metropole sein und dennoch an ihrer dörflichen Struktur, ihrem Kiezwesen festhalten? Für die meisten Städte kann man diese Frage klar verneinen. Berlin ist eine Ausnahme. Weil die Stadt einen jeden mit offenen Armen empfängt und dafür nur wenig verlangt (deshalb ist sie arm), bloß ein wenig jener Liebe, die sie so großzügig verströmt, und Verständnis für ihre Fehler (das macht sie sexy).
Auch der Prenzlauer Berg hat sich verändert. Stellenweise kommt man nicht darum herum festzustellen, daß eine gewisse Form von Reihenhauskultur an Boden gewinnt. Noch vor drei, vier Jahren wäre man für die bloße Behauptung, es gäbe eine solche, mit Dinkelkörnern und Tofuwürsten beworfen worden. Heute müssen die Prenzlberger Lifestyle-Pioniere von einst der bitteren Wahrheit ins Gesicht sehen: Demnächst werden zwischen Kollwitzstraße und Kastanienallee mehr Geranien gegossen werden, als während der zweiten Amtsperiode von George W. Bush Peace-Fahnen aus den Fenstern hingen.
Die Zeiten, als die Spuren des Zweiten Weltkriegs auf den Jahrhundertwende-Fassaden noch zur Romantisierung des Ostens beitrugen, wie auch Außentoiletten, Kohlenöfen, bröckelnde Balkone und zugige Fenster, sind endgültig vorbei, die Kneipe „Alte Kommandantur“ ist Geschichte. Manche beklagen diese Veränderung als „Verlust von Freiräumen“ – wer diese legendäre Institution „Alte Kommandantur“ am Wasserturm erinnert, wird das verstehen können. Doch muß die Frage erlaubt sein, in welcher Stadt, in welchem Bezirk es denn mehr Freiräume gibt und geben kann als im Prenzlauer Berg, in Mitte, Kreuzberg oder Friedrichshain, kurz gesagt, als eben in Berlin.
Gerade weil es diese Freiräume hier mehr als anderswo gibt, gerade weil Berlin eine Ausnahmestadt ist, sind wir der festen Überzeugung, daß alle Veränderung am Ende etwas hervorbringen wird, das gut ist und Berlin. Hier ist der Boden, auf dem Neues wächst. Es liegt an uns, an jedem Einzelnen, etwas daraus zu machen.
Für Herbert & Kohlmeyer bedeutet dies, mehr denn je offen zu sein für neue Ideen und Sichtweisen. Es bedeutet auch, Farbe zu bekennen und mehr denn je für unsere Überzeugungen einzutreten. Wir lieben Berlin, und wir lieben unseren Kiez. Das ist die Grundlage, auf der Sie uns begegnen können.
Es ist schon spannend, wie Pioniertum – selbstverständlich wird das böse Wort Gentrifizierspioniere vermieden – mit Freiräumen, Überzeugungen und einer unbändigen Liebe zur guten Entwicklung verknüpft wird. Soziale Aspekte und „Überzeugungen“ gehören hierbei nicht zusammen, sondern letzteres wird vor allem mit (kapitalistischer) „Zielstrebigkeit“ und (verwertungskreativer) „Offenheit“ verbunden. Neue Ideen meint nicht neue Lebensentwürfe jenseits ökonomischer Totalverwertung, sondern Sensibilität für Trends. Die verspätete „Objektsuche“ in Neukölln, weit weg des angestammten Reviers, gehört zu eben dieser Offenheit.
Somit muß festgestelt werden, werden nun schon Kollwitzplatz-Bürger_innen nach Neukölln wollen, die Aufwertungsmaschine im Zeitraffer auch in Neukölln zu erwarten ist. Was sich im Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg über Jahre entwickelt hat, benötigt vor allem in Nord-Neukölln nur wenige Jahre. Protest und Organisation ist sehr wichtig. Also, alle heute Klaus Wowereit treffen und zur Mietenstopp Demo am Samstag!