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Soziale Verdrängung und Aufwertung in Nordneukölln

Die Zustände in Nordneukölln verändern sich rasant. Wie die Welt berichtet, ziehen immer mehr bürgerliche Familien insbesondere in den Schillerkiez in der Nähe des Tempelhofer Feldes und an die Hasenheide. Neuvermietungen können durchaus über 9 Euro / m² kosten und trotzdem kommen Dutzende Student_innen und andere „weiße“ Bürger_innen, die vor steigenden Mieten aus dem Friedrichshain, Kreuzberg und sogar dem Reuterkiez ins „billige“ Neukölln fliehen. Zunehmend bestimmen Immobilien-Händler, wie TARSAP, private Immobilien-Verwaltungen, wie die Hachmann Hausverwaltung, die Domizil Property Managment GmbH (in der Fontanestr. unter dem Label New Berlin City), die Firma Franke Immobilien & Finanzservice sowie zunehmend auch Investment-Firmen die (Ver-) Mieter_innenstruktur in Nordneukölln. Modernisierung, Verkauf von Wohneigentum und Profitmaximierung ohne Rücksicht auf die Mieter_innen sind die Folgen.

Bei Inforadio gab es hierzu in der vergangenen Wochenende eine interessante Reportage (mp3) unter dem Titel „Jetzt wird teuer saniert“ zum Schillerkiez und der Verdrängung sogenannter sozial schwacher Mieter_innen, Luxus- oder Elitensanierung. Nur einen Tag nach der brutalen Räumung des Hausprojektes in der Liebigstr. 14 widmet sich der rbb in einer Reportage der alltäglichen stillen „Räumung“, die jeden Tag in den unter Aufwertungsdruck befindlichen Stadtgebieten passiert. Doch der Diskurs um Gentrifizierung, soziale Selektion und eine nur ansatzweise formulierte Kritik kommt in dem Beitrag nicht vor. Die Entwicklung wird als wabernde, alternativlose Evolution von Stadtquartieren beschrieben.

Besonders perfide ist die Auswahl der Gesprächspartner_innen. Leitet der Beitrag noch durch eine Anwohner_in ein, welche die Aufwertung beispielhaft begleitet und insbesondere die Sanierung und Verdrängung auf der Schillerpromenade beschreibt, geht es schnell zu den Epigonen der alternativlosen Aufwertung und Gentrifizierung über. Zuerst ist der Immobilienhändler und -verwalter Ulrich Piehler dran. Gemeint ist aber wahrscheinlich eher Uwe Andreas Piehler, Sohn eines Neuköllner Hausverwalters, der mit der TARSAP Immobilienberatung Berlin-Brandenburg GmbH als eine der ersten Unternehmen in Nordneukölln schon bei der Verteilung der Fördergelder im Schillerkiez profitierte. Piehler beschreibt folgende erwähnenswerte Details.

Auf einmal interessierten sich Maklerfirmen, Investoren für die Ecke. Weil man 15 Minuten zur City West und 15 Minuten zur City Ost hat. Und gleichzeitig werden dazu die Einkausstraßen, und da ist nämlich für mich genau das, was schon vorher geplant war, vor der Schließung. Nämlich, daß die Karl-Marx-Straße, der Einkaufsbereich, komplett geändert wird, aufgewertet wird, um eben den Kiez zu verändern. Die Fördergelder, die in den Schillerkiez gesteckt wurden – der wurde also weit vor, also zwei Jahre ungefähr, vor der Schließung des Flughafens  komplett saniert, erneuert und Gelder zur Verfügung gestellt. Von daher war so schon ein Strukturwandel vorhanden.

Das heißt nichts anderes, als daß die Aufwertung des Kiezes und soziale Verdrängung mit Hilfe von Steuergeldern ein forciertes Ziel der Stadtteilpolitik war und ist. Dahinter steckt weder ein soziales Projekt, wie die Autorin Sylvia Tiegs, das Quartiersmanagment nennt, noch eine schicksalhafte, quasi naturgegebene Gentrifizierung, sondern eine offensive Förderpolitik, die sich eher um die Aufwertung der Konsumarreale, als der Verbesserung der Lebenssituation der Anwohner_innen kümmert.

Der Akteur, der die Aufwertung des Schillerkiezes koordinieren und die Fördergelder verteilen soll(te) ist das Vorort Büro der Sanierungs- und Verwaltungsfirma Brandenburgischen Stadterneuerungs Gesellschaft mbH (BSG), auch bekannt unter Quartiersmanagment Schillerpromenande, geleitet von der Architektin Kerstin Schmiedeknecht, die vor Jahren durch ihr ganz besonders widerliches, sozialchauvinistisches Papier Task Force Okerstraße auffiel. In dieser Straße soll(t)en sich, so beschreibt sie, „Problemhäuser“ befinden. Die sind scheinbar weg, schließlich ist die Miete nun bei über 9 Euro / m² angelangt.

Der Hintergrund der beiden wird mit keinem Wort von Tiegs erwähnt. Das Piehler für TARSAP arbeitet und für die Verdrängung von Künstler_innen aus dem Kiez direkt verantwortlich ist, scheint die Autor_innen wenig zu stören. Obwohl sie über Künstler_innen und ihre zunehmende Verdrängung aus dem Kiez berichten, bleibt die Geschichte der Bewohner_innen des „Künstlerhauses“ in der Lichtenraderstraße 32, wo mehrere Künstler_innen-WGs zusammenfanden und gemeinsam arbeiteten, übrigens nur einen Steinwurf vom Vorort Büro von TARSAP entfernt, völlig unerwähnt. Dabei ist genau diese Geschichte, also die aggressive Verdrängung der Künstler_innen aus der L32 und der Umgang mit kritischen Anwohner_innen, welche die Bewohner_innen in ihrem Mietkampf unterstützen, exemplarisch für Gentrifizierungsprozesse in Nordneukölln im Besonderen und in Berliner Bezirken im Allgemeinen.

Zunächst kaufte TARSAP das Haus. Dann erhöhte sie die Miete massiv und versuchte Teile des Objekts zu verkaufen, noch bevor die Mieter_innen draußen waren oder der Rechtsstreit mit ihnen beendet war. Viele zogen aufgrund des massiven existenziellen Drucks über die Jahre hinweg aus. Das Haus und die Wohnungen wurden eher zu einem architektonischen Denkmal verfehlter Stadtteil- und Förderungspolitik, die sobald Investor_innen auftauchen, ihnen den Arsch küssen. Was allerdings nicht verwunderlich ist, wenn sich eine Sanierungs- und Verwaltungsfirma um die Verteilung von Geldern für eine „soziale Aufwertung“ kümmern soll.

Nun, nachdem die Mehrzahl der Mieter_innen weg war, ging’s an den Verkauf der „Lofts“, Fabriketaggen und Wohnungen. Zum Teil soll ein Selbsträumungsrabatt angeboten worden sein. Wie TARSAP die Wohnungen räumen wollte, bekamen die Mieter_innen insbesondere in der kalten Jahreszeit zu spüren. Die Heizung wurde abgeschaltet oder nicht Instand gesetzt. Zur Überwachung und Kontrolle des Hauses wurden Kameras in den beiden Hinterhöfen installiert. Diese Maßnahme galt allerdings nicht nur der Überwachung der Mieter_innen, sondern auch der Verhinderung von Protest. Schließlich sollte eine Solidarisierung mit den Mieter_innen verhindert werden.

Gegen kritische Aktivist_innen fiel TARSAP noch ein weiteres Schmankerl ein: jede Veröffentlichung von Fotos, Videomaterial oder des Namens TARSAP sollte per Abmahnung verboten werden. Nicht nur, daß eine derartige Praxis eines öffentlich auftretenden Unternehmens an klandestine Taktiken grenzt, offenbart der „Immobilien-Händler“, daß sie der vernünftige Menschenverstand, Freundlichkeit und Rücksichtnahme wenig interessiert.

Aber davon wird im Inforadio Beitrag nix erwähnt. Die Autor_innen lassen das Gelabber von Piehler und Schmiedeknecht über eine vermeintlich behutsame und auch noch schicksalhaft „alternativlose“ Aufwertung kritiklos stehen. Kritische Anwohner_innen kommen, wie im Beitrag der taz, nicht zu Wort. Aber was erwarte ich schon von der PR-Abteilung der Berliner und Brandenburger Staatsbürokratie.

Übrigens hatte mir ein Mitarbeiter der TARSAP bei einem Besuch der Lichtenrader 32 vor Monaten gesagt, daß ich besser jetzt alles fotografieren soll. Denn bald wird alles weg sein. Deshalb hier ein paar Fotos des Hauses.

One Trackback/Pingback

  1. […] Unter diesem Motto gab es Donnerstag letzter Woche einen kurzen Radiobeitrag beim RBB-Inforadio zur Entwicklung im Schillerkiez. In der Anmoderation heisst es: „Die Gegend um das Flugfeld ist attraktiv geworden für Investoren. Häuser werden aufwändig saniert, Mietwohnungen steigen im Preis oder werden in Eigentum umgewandelt. Viele Alteingesessene fürchten, verdrängt zu werden.“ Der Inhalt allerdings enttäuschte eher. Was dazu zu sagen ist, steht in einem guten Artikel von Analyse-Kritik-Aktion, der auf ihrem Blog am 8.2. veröffentlicht wurde. Unbedingt lesen! Soziale Verdrängung und Aufwertung in Nordneukölln […]